Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
keine Gefahr von Beelzebub oder seinen dienstbaren Geistern besorgte. Und nunmehr meldete sich ein andrer Postillon am Thorwege; und Susanna, welche ihm aufzumachen hinausgeschickt ward, führte zwei junge Frauenzimmer in Reitkleidern herein, davon die eine ein so reich mit Gold und Tressen besetztes Kleid trug, daß Rebhuhn und der Postillon von ihren Stühlen aufsprangen und die Frau Gastwirtin mit ihren Knicksen und Ihr' Gnaden äußerst geschäftig war.
Die Dame in dem reichen Kleide sagte mit einem sehr freundlich herablassenden Lächeln: »Wenn Sie mir's erlauben wollen, Madame, so will ich mich ein paar Minuten hier an ihrem Küchenfeuer wärmen; denn es ist draußen wirklich sehr kalt, ich muß aber ja niemand von seinem Sitze verdrängen.« Dies ward in Rücksicht auf Rebhuhn gesagt, der sich nach dem äußersten Winkel zurückgezogen hatte, weil ihn der Glanz der Kleidung dieser Dame in die tiefste Ehrfurcht und Erstaunen versetzte. In der That hatte sie ein weit besseres Recht auf diese Ehrfurcht; denn sie war eins der schönsten weiblichen Geschöpfe von der ganzen Welt.
Die junge Dame nötigte Rebhuhn sehr ernstlich, seinen Sitz wieder einzunehmen; sie konnte ihn aber nicht dazu bringen. Sie zog drauf ihre Handschuhe ab, und entblößte dadurch ein paar Hände, welche alle Eigenschaften des Schnees, das Schmelzen am Feuer ausgenommen, an sich hatten. Ihre Gefährtin, welche nichts mehr und nichts weniger war als ihre Dienerin, zog ihre Handschuhe gleichfalls ab, und zeigte dadurch etwas, das an Kälte und Farbe die genaueste Aehnlichkeit mit einem Stück gefrornen Rindfleisches hatte.
»Ich wünsche von Herzen, Ihr Gnaden,« sagte die letztere, »daß Ihr Gnaden nicht drauf bestehen möchten, diese Nacht noch weiter zu gehen. Ich bin in Todesängsten, Ihr Gnaden können die große Fatickerei nicht länger aushalten.«
»Ja wohl, ja wohl!« rief die Frau Wirtin, »Ihr Hochgräfliche Gnaden können so was unmöglich denken: Gott bewahre uns! Diese Nacht noch weiter gehen! das geht sein Lebstage nicht! Lassen sich Ihr hochgräfliche Gnaden bitten, ja nicht daran zu denken. – Ja wahrhaftig! Ihr Gnaden können das gewiß auch nicht. Was geruhen meine gnädigste Dame zum Nachtessen zu befehlen? Ich habe [192] Hammelfleisch, wie 's Ihr Gnaden nur befehlen, und schöne Hühner und Kapaunen.«
»Ich denke, Madame,« sagte das junge Frauenzimmer, »es wäre viel eher Zeit zum Frühstück als zum Abendessen. Essen kann ich bei alledem nicht das allergeringste, und wenn ich bleibe, so werde ich mich bloß auf eine oder ein paar Stunden niederlegen. Wenn Sie indessen so gütig sein wollen, Madame, so machen Sie mir eine Schale Thee mit Sekt; 's muß aber nur sehr wenig Sekt dabei sein.«
»O ja, Ihr Gnaden,« sagte die Wirtin vom Hause, »ich habe gar vortrefflichen weißen Wein.« – »Sie haben also keinem Cyreser Sekt?« sagte die fremde Dame. – »Doch, doch! Ihr hochgräflichen Gnaden dürfen nur befehlen, ich habe welchen im Hause, trotz dem besten im Lande. – Aber lassen sich meine gnädigste Dame doch bereden, einen Bissen zu essen.« – »Auf mein Wort, ich kann nicht,« sagte die Dame, »und Sie werden mir eine große Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie so gütig sein wollen, mir so bald als möglich mein Zimmer zurecht machen zu lassen, denn ich bin gesonnen, mich in drei Stunden spätestens wieder zu Pferd zu setzen.«
»He, da! Susanne!« rief die Wirtin, »brennt das Feuer noch im Kamine in der wilden Gans? – 's thut mir leid, meine gnädigste Dame, daß alle meine besten Zimmer besetzt sind. Verschiedene Personen vom vornehmsten Stande liegen darin und schlafen, unter andern logiert hier ein vornehmer, junger adlicher Herr, und noch verschiedene andere hochadliche Personen.«
Susanne antwortete: »Der irländische Edelmann schlief in der wilden Gans.«
»Hab' ich nun all' mein Lebstage so was gesehen,« sagte die Frau Wirtin. »Wie, zum Satan! warum hebt Sie nicht immer ein paar von den besten Zimmern auf für hochadliche Gäste, da Sie doch weiß, daß kaum ein Tag hingeht, da wir nicht von etlichen Zuspruch haben. – Doch wenn's Herren sind, die zu leben wissen, so bin ich gewiß, wenn sie nur erfahren, daß es für Ihr freiherrliche Gnaden ist, so werden sie gerne wieder aufstehn.«
»Meinetwegen ja nicht!« sagte die Dame, »mir zu Gefallen sollen Sie niemand die geringste Unruhe machen. Wenn Sie ein Zimmer haben, das nur irgend bewohnbar ist, so kann ich mich gern damit behelfen.
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