Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Es braucht gar nicht aufgeputzt zu sein. Ich bitte, Madame, machen Sie sich meinetwegen nicht soviel Sorge und Unruhe.« – »O!« schrie die andre, »ich habe aufgeputzte Zimmer genug, Ihr freiherrlichen Gnaden, wenn's darauf ankommt; aber keins, das für eine so vornehme Dame gut genug wäre. Da Sie unterdessen gnädigst geruhen wollen, mit dem besten vorlieb zu nehmen, [193] was ich habe, so geh' Sie hin, Susanne, und mach' Sie augenblicks Feuer an in der Rose. Geruhen Ihr hochgräflichen Gnaden jetzt gleich hinauf zu gehen, oder befehlen Sie zu warten, bis das Feuer recht im Brand ist?« – »Ich denke, ich habe mich schon genug gewärmt,« antwortete die Dame; »wenn's Ihnen also gefällt, so will ich jetzt gleich hinaufgehn. Ich besorge schon, daß ich jemand, und besonders den Herrn da, (sie meinte Rebhuhn) zulange vom Feuer abgehalten habe. Es thut mir weh, bei diesem unangenehmen Wetter jemand in die Kälte zu bannen.« Sie ging hierauf fort mit ihrer Begleiterin, und die Wirtin ging mit ein paar brennenden Kerzen voran.
Als die gute Frau wieder herunter kam, ward in der Küche von nichts gesprochen, als von der reizenden jungen Dame. Es steckt wirklich in der vollkommenen Schönheit eine Gewalt, welcher fast niemand zu widerstehen vermag: denn unsre Frau Wirtin, ob ihr gleich die Verweigerung des angebotenen Abendessens gar nicht behagte, beteuerte dennoch, in ihrem Leben kein so liebenswürdiges Geschöpf gesehn zu haben. Rebhuhn brach aus in die allerübertriebensten Lobsprüche der Gestalt ihres Gesichts, doch konnte er dabei nicht umhin, den schönen und reichen goldnen Tressen auf ihrem Kleide einige Verbeugungen zu machen. Der Postillon ertönte in Lobeserhebungen ihrer Gütigkeit, welches Lob der andere Postillon, der sie hergebracht hatte und eben hereingekommen war, wie ein Echo widerhallte. »Eine rechte gute Dame ist es, das muß ich sagen,« stimmte er ein, »denn sie erbarmt sich auch des Viehes, wie unser Pfarrer von den Gerechten zu sagen pflegt. Denn sie fragte mich unterwegs, ein Weilchen ums andere, ob ich auch meinte, daß sie den Pferden weh thäte, wenn sie sie so scharf zugehen ließe? Und als wir ankamen, da band sie mir's auf die Seele, ich sollte den Viechern so viel rein Korn geben, als sie nur immer fressen wollten.«
Solch ein Liebreiz liegt in der herablassenden Leutseligkeit, und so sicher ist sie, sich bei allen Arten von Leuten Lob und Beifall zu erwerben! Man kann sie wirklich der berühmten Madame Hussy 1 vergleichen. Sie ist ebenso sicher, eine jedwede weibliche Vollkommenheit ins schönste Licht zu stellen und jede Unvollkommenheit zu verbergen und zu verhüllen. Diese kurze Betrachtung haben wir uns nicht entbrechen können, an dieser Stelle zu machen, wo unser Leser die Liebenswürdigkeit eines leutseligen Betragens gesehen hat, [194] und nun nötigt uns auch die Wahrheit, dieses Betragen dadurch zu kontrastieren, daß wir ihr Gegenteil darstellen.
Fußnoten
1 Eine berühmte Putzmacherin in London, welche jedes Frauenzimmer nach Wuchs und Bildung am vorteilhaftesten zu kleiden verstand.
Viertes Kapitel.
Enthält den wahren Stein der Weisen, vermittelst dessen wir aller Menschen Gesinnungen gegen uns in Haß und Abscheu verwandeln können.
Die Dame hatte sich nicht so bald zu Bette gelegt, als die Kammerjungfer wieder nach der Küche zurückkehrte, um sich mit einigen von den leckern Gerichten gütlich zu thun, die ihre Gebieterin ausgeschlagen hatte. Bei ihrem Eintritte erwies ihr die Gesellschaft eben den Respekt, den sie vorher ihrer Gebieterin bewiesen hatte, und die Leute standen auf von ihren Sitzen beim Feuer. Sie vergaß aber ihrer Herrschaft nachzuahmen und sie zu bitten, sich wieder niederzusetzen. In der That hätten sie das auch kaum gekonnt, denn sie gab ihrem Stuhle eine solche Stellung, daß dadurch beinahe aller Platz beim Feuer eingenommen wurde. Darauf gab sie Befehl, man solle ihr augenblicklich ein junges Huhn auf dem Rost braten, mit der Verwarnung, wenn es in einer Viertelstunde nicht fertig wäre, so wollte sie's hernach gar nicht. Nun würde zwar, obgleich das besagte Küchlein noch auf dem Hühnerbalken schlief und noch die Zeremonien des Fangens, des Abschlachtens und Brühens vorhergehen mußten, ehe es auf den Rost gebracht werden konnte, die Frau Wirtin dennoch ihr möglichstes gethan haben, in der bestimmten Zeit damit zustandezukommen, aber zum Unglück war der Gast hinter dem Vorhang zugelassen worden und hätte also den
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