Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Pflichten der zärtlichsten Mutter zu erfüllen, und diese Sorgfalt verhinderte mich, die Last des schwersten Gewichtes unter allen Dingen in der Welt, sobald wir ihren Druck nur erst gewahr werden, zu fühlen.
Fast zehn volle Wochen hatte ich ganz einsam zugebracht, ohne irgend einen Menschen zu sehen, außer meine Bedienten und einige Besuche, als ein junges Frauenzimmer, eine Verwandte meines Mannes, aus einem entlegenen Teile von Irland mich zu besuchen kam. Sie hatte schon einmal eine Woche in meinem Hause zugebracht, und ich lud sie damals dringend ein, bald wieder zu kommen; denn sie war angenehm und hatte ihren natürlichen Verstand durch eine gute Erziehung ausgebildet. Wirklich war sie mir ein sehr willkommner Gast.
Einige wenige Tage nach ihrer Ankunft, als sie mich sehr niedergeschlagen sah, fing das junge Frauenzimmer an, ohne nach der Ursache meiner Traurigkeit zu fragen, welche sie ohnedem recht gut wußte, mich zu bedauren und zu beklagen. Sie sagte: Obgleich mich die Höflichkeit verhindert hätte, mich über meines Mannes Aufführung bei seinen Verwandten zu beklagen, so sähen sie solche doch alle recht gut ein und mißbilligten sie im höchsten Grade; niemand aber mehr als sie selbst. – Und nach mehr allgemeinen Gesprächen über dies Kapitel, wobei ich ihr, die Wahrheit zu gestehn, nicht immer Unrecht gab, vertraute sie mir endlich, nach vieler genommenen Behutsamkeit und empfohlenen Verschwiegenheit, als ein großes Geheimnis, daß mein Mann sich eine Mätresse hielte.
Sie bilden sich gewiß ein, ich habe diese Neuigkeit mit der äußersten Gleichgültigkeit vernommen. – Aber auf mein Wort, wenn Sie das glauben, so verführt sie Ihre Einbildung. Die Verachtung hatte noch nicht den Zorn über meinen Mann so völlig unterdrückt, daß nicht mein Haß bei dieser Gelegenheit wieder aufgewacht wäre. Was mag hievon die Ursache sein? Sind wir denn so entsetzlich selbstsüchtig, daß wir es nicht leiden können, daß andere sogar nur dasjenige besitzen, was wir verachten? Oder sind wir nicht vielmehr entsetzlich eitel, und ist dies nicht die größte Beleidigung, die man unsrer Eitelkeit zufügt? Was denken Sie davon, Sophie?«
[256] »Ich weiß wirklich nicht,« antwortete Sophie. »Ich habe mir niemals mit so tiefsinnigen Betrachtungen der Kopf zerbrochen; aber das denke ich, daß Ihre Verwandte sehr übel that, Ihnen ein solches Geheimnis zu offenbaren.«
»Und doch, meine Beste, ist an dieser Aufführung nichts Unnatürliches,« erwiderte Madame Fitz Patrick; »und wenn Sie erst ebensoviel gesehen und gelesen haben als ich, so werden Sie das gleichfalls gerne eingestehen.«
»Es thut mir leid,« erwiderte Sophie, »zu hören, daß es natürlich sei; denn ich bedarf keines vielen Lesens, und keiner vielen Erfahrungen, um mich zu überzeugen, daß es sehr unredlich und sehr boshaft ist. Ja, es ist gewiß ebensowohl gegen die gute Lebensart, Eheleuten die Fehler ihrer Ehegatten zu sagen, als ihnen ihre eignen persönlichen Fehler vorzuhalten.«
»Nun, wohl!« fuhr Madame Fitz Patrick fort, »mein Herr Ehegemahl kam denn endlich wieder nach Hause, und, wenn ich mich nicht ganz in meinen Empfindungen irre, so haßte ich ihn jetzt mehr als jemals. Dagegen verachtete ich ihn weniger; denn gewiß, nichts kann unsre Verachtung mehr schwächen als eine Beleidigung, die unsern Stolz oder unsre Eitelkeit kränkt.
Jetzt nahm er eine Aufführung gegen mich an, die von dem Betragen, das er die letzten Zeiten hindurch geäußert hatte, so verschieden und seiner Begegnung während der ersten Wochen unsers Ehestandes so ähnlich war, daß, wäre noch der geringste Funke von Liebe in meiner Seele lebendig gewesen, er solchen vielleicht wieder bis zur Zärtlichkeit gegen ihn hätte anfachen können; allein der Haß mag auf Verachtung folgen, und solche vielleicht gar unterdrücken können, der Liebe aber, glaube ich, ist das unmöglich.«
»Die Wahrheit ist, die Leidenschaft der Liebe ist viel zu rastlos, um sich ohne die angenehmen thätigen Freundschaftsbeweise von dem geliebten Gegenstande genügen zu lassen; und man kann ebensowenig einen Hang zur Liebe haben, ohne zu lieben, als man offne Augen haben kann, ohne zu sehen. Wenn also ein Ehemann nicht länger der Gegenstand dieser Leidenschaft ist, so ist sehr wahrscheinlich ein andrer Mann, – ich will sagen, meine Beste, wenn einem der Ehemann gleichgültig wird, – wenn es erst dahin kömmt, daß man ihn verachtet, – das ist, – will ich sagen,
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