Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
aufgenommen hatte, rückte sie vorwärts unter Begleitung von vielen Bedienten und von zwei Offizieren auf halben Sold, welche vorher mit dem Herrn Grafen im Wagen gesessen hatten und sich bei einem weniger ehrenvollen Anlaß, als diesen zwei würdigen Damen Platz zu machen, daraus hätten verabschieden lassen. Hierin thaten sie weiter nichts, als was wackern Männern geziemt; sie waren aber zu jeder Zeit bereit und willig Lakaiendienste zu verrichten, oder hätten sich auch wohl noch etwas tiefer herabgelassen, bloß wegen der Ehre von Seiner hochgräflichen Gnaden Gesellschaft und wegen der Bequemlichkeit seiner Tafel.
Der Herr Gastwirt war so vergnügt über das Geschenk, welches er von Sophiens Händen empfangen hatte, daß er sich über seine Flecken und Striemen mehr freute als beklagte. Der Leser ist vielleicht neugierig, das Quantum dieses Geschenks zu erfahren, wir können aber seine Neugierde nicht befriedigen. Sei es gewesen, wie viel es wolle, es stellte den Wirt über seinen am Körper genommenen Schaden zufrieden, aber das bedauerte er, nicht vorher gewußt zu haben, wie wenig die Dame sich aus dem Gelde mache, »denn,« sagte er, »man hätte sicherlich jeden Artikel doppelt ansetzen können, und sie würde doch nichts an der Rechnung abgedungen haben.«
[269] Seine Hausehre war indessen weit entfernt ebenso zu schließen wie er. Ob sie nun wirklich eine jede ihrem Manne angethane Beleidigung empfindlicher fühlte als er selbst, das kann ich nicht sagen; gewiß aber ist, sie war mit Sophiens Freigebigkeit weit weniger zufrieden. »In der That, lieber Mann,« sagte sie, »die Dame weiß besser, wie sie ihr Geld anwenden soll, als du wohl meinst, sie konnte sich leicht einbilden, daß wir für nichts und wieder nichts solch einen Schimpf nicht hingehen lassen wollten, und ein Injurienprozeß müßte ihr einen großen Haufen mehr gekostet haben, als die armselige Kleinigkeit, über die ich mich wundere, daß du sie dir hast in die Hand stecken lassen können.« – »Du, du bist immer so klug, als ob du könntest Gras wachsen hören,« sagte der Herr Ehgemahl. »Mehr würd' es ihr gekostet haben? So! hm! Meinst wohl, ich wüßt' das nicht ebensogut als du? Aber, wäre das mehr oder auch nur so viel in unsern Sack gekrümelt! Ja, wenn so ein Thoms der Advokat noch gelebt hätte, so hätt' ich mir über die Gelegenheit noch eine Freude machen können, ihm einen so hübschen fetten Triefbraten in die Hände zu spielen. Es wäre noch hübsch dabei zu stippen gewesen, aber so hab' ich keinen Verwandten, der ein Jurist ist, und sollt' ich mich mit Prozessen einlassen, um einem ganz wildfremden Menschen etwas zu verdienen zu geben?«
»Ja, nu wohl, freilich!« antwortete sein Eheschatz, »du mußt es am besten wissen.« – »So mein' ich, wüßt' ich auch!« erwiderte er. »Wo Geld zu holen ist, sollt' ich denken, hätt' ich eben eine so gute Spürnase als nur einer. Nicht jedermann, das laß dir nur sagen, hätte dies aus den Leuten herausgeschwatzt. Merk' dir das! nicht jedermann sag' ich, hätt' ihr so viel abgekoset, merk' dir das.« Die Frau stimmte nun mit ein in den Beifall, den ihr Ehemann seiner eignen Schlauigkeit gab, und damit endete sich ihr kurzes Gespräch bei dieser Veranlassung.
Wir wollen also von diesen guten Leuten hiermit Abschied nehmen und dem hochgebornen Herrn Grafen und seinen Gefährtinnen Gesellschaft leisten, welche mit solcher Hurtigkeit reisten, daß sie binnen zwei Tagen einen Weg von beinahe vierzig Stunden zurücklegten und des andern Abends, ohne daß ihnen unterwegs ein Abenteuer aufgestoßen, welches zu erzählen der Würde dieser Geschichte angemessen wäre, wohlbehalten in London ankamen. Unsre Feder soll deshalb die Schnelligkeit nachahmen, welche sie beschreibt, und unsre Geschichte soll Schritt halten mit den Reisenden, die ihr Gegenstand sind. Gute Schriftsteller thun wirklich wohl, wenn sie es in diesem Stücke machen wie der verständige Reisende, der allemal seinen Aufenthalt an einem Orte nach den Schönheiten und Merkwürdigkeiten, welche er enthält, abmißt. Zu Eshur, zu [270] Stowe, zu Wilton, zu Eastbury und Priorspark sind ganze Tage zu kurz für die entzückte Imagination, wenn wir die Zauberkraft der Kunst bewundern, womit sie die Natur zu verschönern vermag. An einigen dieser Plätze zieht die Kunst hauptsächlich unsre Bewunderung auf sich, in andern ringen Natur und Kunst um unsern Beifall; in dem letztern Orte aber scheint die erste den Sieg
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