Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
unchristlich gehalten werden mag, welches ich aber nicht umhin kann, im strengsten Verstande zulässig zu finden; und dies ist der Argwohn, daß ein Mensch fähig sei, dasjenige wieder zu thun, was er schon einmal gethan hat, und daß es für denjenigen, der einmal ein Schurke gewesen, wohl möglich sei, dieselbige Rolle wieder von neuem zu spielen. Und, die Wahrheit zu gestehen, dieses Grades von Argwohn, denk' ich, war Sophie schuldig. Nach diesem Grade von Argwohn war sie wirklich auf die Meinung geraten, ihre Kousine möchte wohl nicht so ganz glaubenfest sein.
Dies mochte, wie es scheint, folgendergestalt zugegangen sein: Madame Fitz Patrick überlegte sehr weislich, daß die Tugend eines jungen Frauenzimmers in der Welt, sich in einerlei Lage mit einem armen Hasen befinde, welcher gewiß ist, seinem Feinde aufzustoßen, sobald er nur sein Lager verläßt, denn schwerlich kann er einem andern begegnen. Sie hatte also nicht so bald den Entschluß gefaßt, die erste Gelegenheit wahrzunehmen, den Schutz ihres Ehegatten aufzugeben, als sie sich vornahm, sich unter den Schutz irgend eines andern Mannes zu werfen, und wen könnte sie mit mehr Schicklichkeit zu ihrem Schirmvogte wählen, als eine Person vom hohen Adel, von Vermögen und Ehre, und der noch neben einer galanten Art zu denken, welche die Männer zur irrenden Ritterschaft neigt, das heißt den Damen in ihren Nöten beizuspringen, ihr dazu noch eine heftige Zuneigung zu ihr erklärt und ihr davon bereits [274] alle die Proben gegeben hatte, die nur in seinem Vermögen standen.
Weil aber die Gesetze des Landes thörichterweise das Amt eines Vice-Ehemannes oder eines Schirmvogts für eine entlaufene Ehefrau vergessen haben, und weil die Bosheit fähig ist, diese Aemter mit unangenehmeren Benennungen zu belegen, so ward beschlossen, daß Seine hochgräfliche Gnaden der Dame alle diese Liebesdienste ganz insgeheim erweisen sollten, und ohne öffentlich den Charakter ihres Beschützers anzunehmen. Ja, um zu verhindern daß er keinem Menschen als solcher bekannt würde, war man übereingekommen, die Dame sollte geradeswegs nach Bath, der Herr Protektor aber erst nach London und von da, auf Anraten der Aerzte, nach eben diesem Orte gehen.
Nun hatte Sophie dieses alles sehr deutlich verstanden, freilich nicht alles aus dem Munde oder aus dem Betragen der Madame Fitz Patrick, sondern von dem edlen Peer, der ungleich weniger geübt war ein Geheimnis zu bewahren, als die brave Dame, und vielleicht diente die so genaue Verschwiegenheit, welche Madame Fitz Patrick in ihrer Geschichtserzählung über diesen Punkt beobachtet hatte, nicht wenig den Argwohn zu bestärken, welcher jetzt im Gemüte ihrer Kousine aufgestiegen war.
Sophie machte die Dame ohne Schwierigkeit ausfindig, welche sie suchte, denn es war wirklich kein Sänftenträger in der Stadt, der ihr Haus nicht sehr gut kannte; und da sie auf ihr erstes Anmelden eine sehr dringende Einladung zur Antwort erhielt, so nahm sie solche ohne Weigerung an. Madame Fitz Patrick bestand wirklich nicht ernstlicher bei ihrer Kousine darauf, daß sie bei ihr bleiben möchte, als nur insoweit es die Höflichkeit erforderte. War es deswegen, daß sie den obbesagten Argwohn bemerkt hatte und darüber empfindlich war, oder hatte sie dazu andre Ursachen; das kann ich nicht sagen; gewiß aber ist es, sie verlangte ebensosehr darnach, Sophien los zu sein, als diese nur begierig sein konnte, zu gehen.
Als diese junge Dame sich bei ihrer Kousine beurlaubte, konnte sie nicht umhin, ihr einen kurzen wohlgemeinten Rat zu erteilen. Sie bat sie ums Himmelswillen, sie möchte sich doch in acht nehmen und ja bedenken, in was für einer gefährlichen Lage sie sich befände, und fügte hinzu, sie hoffe, es würde sich ein Mittel ausfindig machen lassen, zwischen ihr und ihrem Gemahl eine Aussöhnung zu bewirken. »Sie müssen sich der Maxime erinnern, meine Liebe,« sagte sie, »welche Madame de Western uns so oft vorgesagt hat: wenn die eheliche Allianz gebrochen und der Krieg zwischen Mann und Frau erklärt worden, so kann die Frau schwerlich einen nachteiligen [275] Frieden schließen, die Bedingungen mögen so schlimm sein wie sie wollen. Dies sind meiner Tante eigne Worte und sie hat gar viel Erfahrung in Dingen dieser Welt.« – Madame Fitz Patrick antwortete mit einem höhnischen Lächeln: »Fürchten Sie nichts, Kind! Sehen Sie sich selbst vor! denn Sie sind jünger als ich. Aber liebste Sophie, einen Rat muß ich Ihnen geben:
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