Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
jedermann, der nur das geringste Gemeinderecht am Parnassus hat, befugt ist, seine Muse zu weiden und zu mästen. Oder, um es in ein helleres Licht zu stellen: wir Neuern sind gegen die Alten das, [277] was die Armen gegen die Reichen sind. Unter den Armen versteh' ich hier den großen und ehrwürdigen Haufen, welcher auch in der gemeinen Sprache unter dem Namen Pöbel bekannt ist. Wer nun aber die Ehre gehabt hat, von diesem Pöbel zu irgend einiger Vertraulichkeit zugelassen zu werden, der muß wissen, daß es einer von seinen angenommenen Grundsätzen ist, seine reichen Nachbarn ohne Scheu und Gewissen zu berauben und zu plündern, und daß dies bei ihnen weder für Sünde noch Schande gehalten wird. Und so treu und fest kleben diese Armen an dieser Maxime und handeln darnach so unverbrüchlich, daß fast in jedwedem Kirchspiele durchs ganze Reich eine Art von Bündnis gegen eine gewisse begüterte Person, genannt der Gutsherr, errichtet ist, dessen Eigentum von allen seinen Nachbarn als freie Beute betrachtet wird; und weil sie meinen, bei solchem Plündern und Verwüsten sei weder Sünde noch Verbrechen, so halten sie es für eine Ehren- und Gewissenssache, einander nicht zu verraten und sich bei solchen Gelegenheiten von aller Bestrafung durchzuhelfen.
Auf gleiche Art müssen die Alten, als da sind Homer, Virgil, Horaz, Cicero, und die übrigen von uns Schriftstellern betrachtet werden, als ebensoviele reiche Junker und Gutsherren, denen wir Armen des Parnassus zufolge eines undenklich alten Gebrauchs wegnehmen dürfen, woran wir nur die Hände legen können. Diese Freiheit behalt' ich mir vor und ich bin ebenso bereit, sie hinwiederum meinen armen Nachbarn einzuräumen. Alles, wozu ich mich dabei erkläre, und alles, was ich mir von meinen Brüdern wieder ausbedinge, ist unter uns auf eben die strenge Ehrlichkeit zu halten, welche die Herrn vom Pöbel gegen einander beobachten. Einer den andern bestehlen ist wirklich höchst strafbar und unanständig; denn das könnte ganz eigentlich heißen, einen armen Schlucker prellen (der noch dazu noch ärmer sein könnte als wir selbst) oder, um es in dem gehässigsten und schändlichsten Lichte zu zeigen, es wäre so gut als ein Einbruch in ein Spittelhaus.
Da also nach der strengsten Prüfung mein Gewissen mir keinen solchen Lumpendiebstahl vorwerfen kann, so will ich mich nicht weigern, die vorige Anklage als wahr einzugestehen, und werde mir auch niemals ein Bedenken daraus machen, mir eine jede Stelle zuzueignen, die ich in einem alten Autor für meinen Zweck dienlich finde, ohne den Namen des Autors dazuzusetzen, aus dem ich sie genommen habe. Ja noch mehr, den Augenblick, wie ich solche in mein Werk übergetragen haben werde, lasse ich mir das Eigentum an solchen Gedanken nicht absprechen, und ich erwarte, daß alle meine Leser von nun an solche ohne allen An- und Beispruch als meine eignen betrachten werden. Doch verlange ich nur, daß man [278] mir die Forderung unter der Bedingung einräumen soll, daß ich gegen meine Brüder mit der strengsten Ehrlichkeit zu Werke gehe; denn sollte ich jemals ja irgend etwas von ihrem geringen Armütchen borgen, so werde ich niemals ermangeln, ihr Merkzeichen darauf zu setzen, damit es zu jeder Stunde bereit stehe, seinem rechten Eigner wieder zugestellt werden zu können.
Die Versäumnis dieser Vorsicht war an einem gewissen Herrn Moore äußerst zu tadeln, welcher vorlängst einmal von Pope und Kompanie einige Zeilen erborgt hatte und sich die Freiheit nahm, sechse davon in seinem Lustspiele »Die wetteifernden Moden« abzuschreiben. Herr Pope aber, der solche glücklicherweise in besagtem Lustspiele wieder fand, bemächtigte sich seines Eigentums mit gewaltsamer Hand und nahm sie wieder zurück in sein eigen Werk, und zur fernern Züchtigung warf er obgedachten Moore in das dumpfe Gefängnis der Dunciade, wo sein armselig Andenken noch liegt und ewig liegen wird zur gerechten Strafe für solche unerlaubte Schliche im poetischen Handel und Wandel.
Zweites Kapitel.
In welchem zwar der Junker seine Tochter nicht findet, dafür aber etwas anderes gefunden wird, welches seinem Nachsetzen ein Ende macht.
Die Geschichte kehrt jetzt zurück nach dem Gasthofe zu Upton, von wo wir erst den Fußstapfen des Herrn Junker Western nachgehen wollen; denn weil er bald zum Ende seiner Reise gelangen wird, so werden wir alsdann völlige Muße haben, mit unserm Helden zu gehen.
Der Leser wird die Güte haben, sich zu erinnern, daß
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