Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Dankbarkeit auszudrücken. O, Herr, die kleinen Herzen, die Sie erwärmt haben, ohne Ihren Beistand wären sie jetzt kalt gewesen wie Eis.«
Hier versuchte es Jones, den armen Mann zu verhindern, daß er etwas weiter sage; aber die Ergießungen seines eignen Herzens würden wirklich von selbst seine Worte erstickt haben. Und nun fing Madame Miller gleichfalls an in Danksagungen auszubrechen, sowohl in ihrem eignen als in ihres Vetters Namen, und beschloß damit, daß sie sagte, sie zweifle nicht, eine solche Güte des Herzens würde einen herrlichen Lohn empfahen.
Jones antwortete, er sei bereits überflüssig belohnt. »Ihres Vetters Erzählung, Madame,« sagte er, »hat mir weit angenehmere Empfindungen verursacht, als ich jemals gekannt habe. Welch ein elender Mensch müßte das sein, der eine solche Geschichte ohne Rührung anhören könnte! Wie entzückend muß also der Gedanke sein, in solch einer Szene eine glückliche Rolle gespielt zu haben! Wenn es Menschen gibt, welche die Freude nicht fühlen können, die darin [82] liegt, andre froh zu machen, so bedaure ich sie von Herzen, weil sie unfähig sind, an demjenigen Geschmack zu finden, was nach meiner Meinung eine größre Ehre, ein höherer Vorteil und ein süßeres Vergnügen ist, als dem Ehrgeizigen, dem Geldsüchtigen oder dem Wollüstigen jemals zu teil werden kann.«
Da nunmehr die Stunde der Zusammenkunft herangenaht war, sah Herr Jones sich genötigt, eilig Abschied zu nehmen, doch schüttelte er vorher erst seinem Freund recht herzlich die Hand und bat, ihn so bald als möglich wieder zu sehen, wobei er ihm versprach, daß er die erste beste Gelegenheit wahrnehme wolle, ihn in seinem eignen Hause zu besuchen. Hierauf stieg er in seinen Wagen und fuhr nach dem Hause der Bellaston voller Freuden über das Glück, welches er über diese arme Familie verbreitet hatte. Dabei konnte er auch nicht umhin, mit Schaudern an die schrecklichen Folgen zu denken, welche daraus hätten entstehen müssen, wenn er mehr auf die Stimme der strengen Gerechtigkeit, als auf die Stimme der Güte und Milde gehört hätte, als er auf der Heerstraße angefallen wurde.
Den ganzen Abend hindurch sang Madame Miller das Lob des Herrn Jones, wobei der ehrliche Anderson, so lange er blieb, sie so eifrig begleitete, daß er oft schon das Wort auf der Zunge hatte, um die Geschichte mit dem Straßenraube zu erzählen. Inzwischen besann er sich noch glücklicherweise und vermied eine Unbesonnenheit, die um so größer gewesen sein würde, da er wußte, daß Madame Miller in ihren moralischen Grundsätzen äußerst streng und gewissenhaft war. Gleichfalls wußte er recht gut, daß seine Kousine zuweilen etwas gesprächig wäre, und doch war er bei alledem so voller Dankbarkeit, daß solche beinahe seine Behutsamkeit und Furcht vor Schande überwältigt und ihn dasjenige lieber öffentlich hätte bekannt machen lassen, was seinen eignen guten Namen geschändet hatte, als daß er einen einzigen Umstand hätte verschweigen sollen, welcher seinem Wohlthäter die vollkommenste Ehre bringen mußte.
Elftes Kapitel.
Worin der Leser überrascht werden wird.
Herr Jones war viel früher als zur bestimmten Zeit gekommen und früher, als die Dame, deren Ankunft nicht nur durch die Entlegenheit des Hauses, wo sie zu Tische war, sondern auch durch einen widrigen Zufall verhindert ward, der einer Person in ihrer Gemütslage sehr verdrießlich sein mußte. Er ward also abgeredetermaßen ins Besuchzimmer geführt, und kaum hatte er einige Minuten darin zugebracht, da ging die Thüre auf und trat herein – niemand anders als Sophie selbst, welche die Komödie verlassen hatte, ehe noch der erste Akt geendigt worden. Denn weil, wie wir bereits gesagt haben, heute ein neues Stück gegeben ward, wobei sich zwei starke Parteien einfanden, die eine zum Auspfeifen und die andre zum Beklatschen: so hatte ein heftiger Aufstand und Getümmel [83] zwischen beiden Parteien unsrer Heldin einen solchen Schrecken eingejagt, daß sie nur froh gewesen, einen jungen Herrn zu finden, unter dessen Schutze sie bis zu ihrem Wagen gelangen konnte.
Da Ihro Gnaden von Bellaston ihr gesagt hatte, sie würde erst spät wieder nach Hause kommen, so erwartete Sophie nicht, jemanden im Zimmer anzutreffen, kam also hastig herein und ging auf einen Spiegel zu, der fast gerade ihr gegenüber hing, ohne nur einmal nach dem obern Ende des Zimmers hinzublicken, wo jetzt Jones wie eine unbewegliche Bildsäule stand. – In
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