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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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diesem Spiegel war es, worin, nachdem sie ihr eignes liebenswürdiges Gesicht beschaut, sie die besagte Bildsäule zuerst entdeckte; da sie denn, als sie sich plötzlich umkehrte, die Wirklichkeit der Erscheinung wahrnahm, worauf sie einen heftigen Schrei that und sich kaum einer Ohnmacht erwehren konnte, bis Jones fähig war, sich ihr zu nahen und sie in seinen Armen aufrecht zu erhalten.
    Die Blicke oder Gedanken einer oder der andern von diesen lebenden Personen zu malen, das übersteigt meine Kräfte. Da man aus ihrer gegenseitigen Lage schließen kann, daß ihre Empfindungen zu stark waren, um solche gegeneinander mit Worten an den Tag zu legen, so wird man wohl nicht voraussetzen, daß ich fähig sein sollte, sie auszudrücken, und das Unglück dabei ist, daß wenige von meinen Lesern verliebt genug gewesen sind, um in ihren eignen Herzen zu fühlen, was damals in den Herzen dieser beiden vorging.
    Nach einer kurzen Pause sagte Jones mit bebender Stimme: »Ich sehe, gnädiges Fräulein, Sie sind erstaunt.« – »Erstaunt!« antwortete sie. »O Himmel! Wirklich, ich bin erstaunt. Fast zweifle ich, ob Sie die Person sind, die Sie zu sein scheinen.« – »In der That,« rief er, »meine Sophie! Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Sie dies einemal so nannte – ich bin der unglückliche Jones, den das Glück nach so vielen vereitelten Hoffnungen endlich so gütig ist zu Ihnen zu führen. O, meine Sophie, kennten Sie die tausend Qualen, die ich erlitten habe bei diesem langen, fruchtlosen Suchen.« – »Suchen? nach wem?« sagte Sophie, die sich ein wenig wieder sammelte und ein zurückhaltendes Wesen annahm. »Können Sie so grausam sein, mir diese Frage zu thun?« rief Jones. »Brauche ich's wohl zu sagen, nach Ihnen?« – »Nach mir?« antwortete Sophie. »Hat denn Herr Jones ein so wichtiges Gewerbe bei mir?« – »Einigen, gnädiges Fräulein,« sagte Jones, »möchte dieses hier ein wichtiges Gewerbe scheinen (indem er ihr die Brieftasche gab.) Ich hoffe, mein Fräulein, Sie werden dies noch von eben dem Werthe finden, als da Sie es verloren.« Sophie nahm die Brieftasche und wollte zu reden beginnen, als er ihr folgendergestalt zuvor kam: »Lassen Sie uns, ich bitte, keinen von den kostbaren Augenblicken verlieren, welche uns das Glück so gütig verliehen hat. – O meine Sophie, ich habe weit wichtigere Angelegenheiten. – Hier auf meinen Knieen lassen Sie mich um Ihre Verzeihung flehen.« – »Meine Verzeihung?« sagte sie. »Im Ernste, nach dem was vorgegangen, können Sie nicht erwarten – nach dem, was ich gehört habe.« – »Ich weiß kaum, was ich sage,« antwortete [84] Jones. »Beim Himmel! kaum wünsche ich, daß Sie mir verzeihen. O, meine Sophie, verschwenden Sie hinfort weiter keine Gedanken an solch einen Elenden als ich bin! Sollte jemals nur ein Gedanke an mich sich bei Ihnen eindringen und Ihrer zarten Brust nur einen Augenblick Unruhe erwecken, so denken Sie an meine Unwürdigkeit und lassen Sie das Andenken an das, was zu Upton geschah, mich auf ewig aus Ihrem Gedächtnis vertilgen.«
    Sophie stand die ganze Zeit über zitternd. Ihr Gesicht war weißer als Schnee und ihr Herz pochte durch ihre Schnürbrust. Wie Jones aber Upton nannte, stieg ihr eine Röte auf die Wangen und ihre Augen, die sie bis dahin kaum von der Erde verwendet hatte, richteten sich auf Jones mit einem verächtlichen Blick. Er verstand diesen stummen Vorwurf und antwortete darauf folgendergestalt: »O, meine Sophie! Meine einzige Geliebte! Sie können mich wegen dessen, was dort vorfiel, nicht stärker hassen, nicht ärger verachten, als ich selbst. Dennoch aber erweisen Sie mir die Gerechtigkeit und glauben, daß mein Herz Ihnen nicht einen Augenblick ungetreu gewesen ist. Das hatte keinen Teil an der Thorheit, der ich mich schuldig machte, das war selbst damals Ihr ungeteiltes Eigentum. Ob ich gleich verzweifelte, Sie jemals zu besitzen, ja selbst Sie nur jemals wieder zu sehen, so hing ich doch immer voll zärtlicher Liebe an Ihrem reizenden Bilde und konnte ernstlich kein ander Frauenzimmer lieben. Aber wäre auch mein Herz nicht von bessrer Liebe erfüllt gewesen, so hätte doch jene, in deren Gesellschaft ich durch einen Zufall an dem verwünschten Orte geriet, kein Gegenstand ernsthafter Liebe sein können. Glauben Sie mir, teuerste Geliebte, ich habe solche von dem Tage an nie wieder gesehen und wünsche und verlange auch nicht, sie wieder zu sehen.« In ihrem Herzen war Sophie gar sehr

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