Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
dreistündige ununterbrochene Konversation versprach, wenn sie von dem Orte, wo sie zu Mittag aß, zurückgekommen sein würde; dies war in dem Hause einer Freundin, in einer ziemlich weit entlegenen Gegend der Stadt, nicht weit von dem alten Orte ihrer Zusammenkünfte; und dorthin hatte sie sich versprochen, ehe sie die große Veränderung erfahren hatte, die in den Meinungen und Sitten ihrer bisherigen Vertrauten vorgegangen war.
[80] Zehntes Kapitel.
Zwar kurz, kann aber dennoch wohl nasse Augen machen.
Herr Jones war eben angekleidet, um zu seiner Dame zu gehen, als Madame Miller an seine Thür klopfte, und als sie eingelassen war, sehr dringend bat, er möchte herunterkommen und Thee mit ihr trinken.
Bei seinem Eintritt ins Zimmer stellte sie ihm gleich einen Fremden vor und sagte: »Dieses, Herr Jones, ist mein Vetter, der Ihrer Gütigkeit so sehr viel zu verdanken hat, und er bittet um die Erlaubnis, Ihnen seinen aufrichtigsten Dank selbst sagen zu dürfen.«
Der Mann hatte kaum die Rede begonnen, welche Madame Miller so höflich eingeleitet hatte, als beide, Jones und er, einander mit unverwandten Augen betrachteten und dabei auf einmal Zeichen des äußersten Erstaunens blicken ließen. Die Stimme des letztern fing augenblicklich an zu beben und anstatt seine Rede zu Ende zu bringen, sank er auf einen Stuhl nieder und rief aus: »Es ist gewiß so! Ich bin gewiß, es ist so!«
»Himmel! was bedeutet das?« rief Madame Miller; »Ihnen wird doch nicht übel, Vetter, hoff' ich? Bringt Wasser, ein Glas gebranntes Wasser, geschwind, geschwind!«
»Seien Sie nicht beängstigt, Madame,« sagte Jones. »Ich bin einer Herzstärkung fast ebenso benöthigt, als Ihr Vetter. Wir sind beide über diese unerwartete Begegnung gleich erstaunt. Ihr Vetter, Madame Miller, ist ein Bekannter von mir.«
»Ein Bekannter!« schrie der Mann – »gütiger Gott!« »Ja freilich, ein Bekannter,« wiederholte Herr Jones, »und ein sehr hochgeschätzter Bekannter dazu. Wenn ich den Mann nicht liebe und hochschätze, der alles auf die Wage setzen kann, um seine Frau und Kinder vom Verderben zu retten, so möge mir der Himmel einen Freund geben, der fähig ist mich in Not und Unglück zu verleugnen!«
»O, Sie sind ein vortrefflicher junger Mann!« rief Madame Miller. – »Ja in der That, der arme Mann! Er hat alles gewagt. Wenn er nicht eine der besten Gesundheiten gehabt hätte, er hätte drauf gehn müssen.«
»Liebe Kousine,« rief der Mann, der sich jetzt so ziemlich erholt hatte, »dies ist der Engel vom Himmel, von dem ich Ihnen sagte. Dieser ist es, dem ich, eh ich Sie sah, die Erhaltung meiner Meta zu verdanken hatte. Er ist es, dessen Großmut ich jede Bequemlichkeit, jede Stärkung, die ich ihr verschaffte, schuldig bin. Er ist wahrhaftig der würdigste, der bravste, der edelste Mann unter allen [81] Sterblichen. O, liebe Kousine, diesem Herrn habe ich solche große Verbindlichkeiten von solch einer Art –«
»Sagen Sie nichts von Verbindlichkeiten,« fiel ihm Jones schnell in die Rede; »kein Wort davon, bitte ich ein- für allemal, kein Wort!« Er meinte, glaub' ich, ihm hiermit zu verbieten, daß er von der Sache des Straßenraubes gegen irgend einen Menschen etwas verrate. – »Wenn ich durch die Kleinigkeit, die Sie von mir empfangen, eine ganze Familie erhalten habe, so ist gewiß noch keine Freude so wohlfeil erkauft.«
»O, mein Herr!« sagte der Mann, »ich wünschte, Sie könnten diesen Augenblick mein Haus sehen. Wenn jemals ein Mensch zu den Freuden ein Recht gehabt hat, deren Sie erwähnen, so bin ich überzeugt, sind Sie es selbst. Meine Kousine sagt mir, sie habe Ihnen das Elend erzählt, in welchem sie uns fand. Dies, mein teuerster Herr, ist größtenteils gehoben, und hauptsächlich durch Ihre Güte. Meine Kinder haben nun ein Bett, worauf sie liegen – und sie haben – sie haben – ewiger Segen Gottes lohne Sie dafür! – sie haben Brot zu essen. Mein kleiner Junge ist wieder besser; meine Frau ist außer Gefahr, und ich bin froh und glücklich! Alles, alles ist Ihr Werk, Herr, und meine Kousine hier eine der edelsten, besten Frauen! In der That, Herr, ich muß Sie in meinem Hause sehen. In der That, meine Frau muß Sie sehen und Ihnen danken. Auch meine Kinder müssen Ihnen ihren Dank sagen. In der That, Herr, den Kindern fehlt's nicht am Gefühl ihrer Verbindlichkeit. Aber wie steigt meine Empfindung, wenn ich bedenke, wem ich's zu verdanken habe, daß sie jetzt fähig sind ihre
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