Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
»aber es kam mir doch so vor, als ob er ein wenig zu steif und gezwungen wäre.«
»Außerordentlich richtig bemerkt!« rief die Bellaston. »Man kann es seinen Manieren ansehen, daß er noch in keine guten Gesellschaften gekommen ist. Ja, ungeachtet er Ihnen Ihr Geld wiedergebracht hat und kein Findelohn haben wollte, so zweifle ich doch fast, daß er ein Edelmann sei. – Wohlgeborene Personen, wie ich immer bemerkt, haben einen gewissen Anstand, den andre niemals annehmen können. – Ich glaube, ich thue am besten, wenn ich Ordre gebe, daß ich für ihn nicht zu Hause bin.«
»Aber gewiß, gnädige Frau,« antwortete Sophie, »der Verdacht, sollt' ich meinen, fiele weg nach dem was er gethan hat! – Zudem, wenn Ihro Gnaden ihn beobachtet haben, war in seinen Reden so eine Eleganz, so eine gewisse Feinheit und Artigkeit im Ausdruck, daß – daß –«
»Ich gestehe,« sagte die Bellaston, »seine Worte weiß der Mensch zu setzen. – Und wirklich, Sophie, Sie müssen mir's verzeihen, in der That, Sie müssen.«
»Ich? meine Gnädige, Ihnen verzeihen!« sagte Sophie.
»Ja, im Ernste, das müssen Sie,« antwortete sie lachend; »denn ich hatte einen abscheulichen Argwohn, als ich zuerst ins Zimmer trat – ich wiederhol' es, Sie müssen's verzeihen, aber ich argwöhnte, es wäre wirklich der Herr Jones.«
»Das argwöhnten Sie wirklich?« versetzte Sophie, indem sie errötete und sich zum Lachen zwang.
»Ja, ich versich're Sie's in allem Ernste,« erwiderte sie. »Ich weiß selbst nicht, wie mir's einfallen konnte, denn, mag das übrige sein wie es will, so ist doch so viel wahr, daß der Mensch recht hübsch gekleidet ging, und das, meine liebe Sophie, ist, wie ich glaube, wohl eben nicht oft der Fall mit Ihrem Freunde.«
»Dieser Scherz,« sagte Sophie, »ist ein wenig unbarmherzig, gnädige Tante, nach dem Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe.«
»Ganz und gar nicht, liebes Kind,« sagte die ältere Dame. – »Vorher wohl wäre er's gewesen. Aber nachher, da Sie versprochen haben, sich ohne Ihres Vaters Einwilligung nicht zu verheiraten, welches, wie Sie wissen, ebensoviel heißt, als nicht weiter an Jones zu denken, können Sie doch sicher einen kleinen Spaß über eine Leidenschaft vertragen, die einem jungen Mädchen auf'm Lande noch verzeihlich genug war, von der Sie mir aber sagen, daß Sie sie völlig besiegt haben. Was muß ich denken, meine teure Sophie, wenn Sie nicht einmal einen kleinen Scherz über seine Kleidung vertragen können? Ich muß wirklich besorgen, daß es sehr weit mit Ihnen gekommen sei, und zweifle fast, ob Sie ganz aufrichtig gegen mich gewesen sind.«
»In der That, Ihro Gnaden,« erwiderte Sophie, »Sie versteh'n [90] mich unrecht, wenn Sie meinen, daß ich seinetwegen im geringsten empfindlich geworden bin.«
»Seinetwegen?« antwortete die ältere Dame. »Sie müssen mich unrecht verstanden haben, meine Anmerkung ging nicht weiter als auf seine Kleidung, denn ich wollte Ihrem Geschmacke durch gar keine andre Vergleichung einen Vorwurf machen. – Ich glaube nicht, meine teure Sophie, wenn Ihr Herr Jones solch ein Mensch gewesen wäre, als dieser –«
»Ich dachte,« sagte Sophie, »Ihro Gnaden hätten ihm zugestanden, daß er hübsch sei.« –
»Wem? ich bitte!« rief die Dame hastig.
»Herrn Jones!« antwortete Sophie, – und indem sie sich gleich darauf besser besann – »Herrn Jones! Nein, nein! Ich bitte um Vergebung, dem Fremden wollte ich sagen, der eben hier war.«
»O Sophie! Sophie!« rief die Dame, »dieser Herr Jones, fürcht' ich, steckt Ihnen noch immer im Kopfe.«
»Also auf meine Ehre, meine Gnädige,« sagte Sophie, »versich're ich Sie, Herr Jones ist mir ebenso völlig gleichgültig, als der fremde Herr, der uns eben verlassen hat.«
»Auf meine Ehre,« sagte die Bellaston, »ich glaube es. Verzeihen Sie mir also einen kleinen Scherz; aber ich verspreche Ihnen, ich will seinen Namen niemals wieder nennen.«
Und hierauf gingen die beiden Damen auseinander, zum unendlich größeren Vergnügen Sophiens als der Bellaston, welche ihre Nebenbuhlerin gerne noch ein wenig länger gepeinigt hätte, wenn sie nicht durch wichtigere Angelegenheiten abgerufen worden wäre. Was Sophien anbelangt, so war ihr Gemüt über diesen ersten Versuch im Betrügen nichts weniger als ruhig über den sie, als sie in in ihrem Zimmer allein war, mit Reue und innerlicher Beschämung nachdachte. Auch konnte sie nicht einmal die besondere Schwierigkeit ihrer Lage,
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