Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
oder die Notwendigkeit des Falles, in Ansehung ihrer Aufführung mit ihrem Gewissen aussöhnen, welches viel zu zart war, den Gedanken zu ertragen, daß sie sich einer Falschheit schuldig gemacht habe, so sehr sie auch die Umstände entschuldigen möchten. Und dieser Gedanke gestattete ihr nicht, die ganze folgende Nacht nur ein einziges Mal die Augen zuzuthun.
Vierzehntes Buch.
Enthält zwei Tage.
Erstes Kapitel.
Ein Versuch, zu erweisen, daß ein Autor um so besser schreiben wird, wenn er von dem Gegenstande, den er bearbeitet, einige Kenntnisse hat.
Dieweil verschiedene Herren zu diesen Zeiten bloß durch die wundervolle Kraft des Genies, ohne die mindeste Beihilfe von Gelehrsamkeit, [91] ohne einmal recht im stande zu sein, zu lesen, eine sehr ansehnliche Figur in der gelehrten Republik gemacht haben, so haben die neueren Kunstrichter, wie man mir gesagt hat, angefangen zu behaupten, alle Arten von Gelehrsamkeit wären einem Schriftsteller völlig unnütz und eigentlich weiter nichts als eine Art von Fesseln, welche man der natürlichen Lebhaftigkeit und Wirksamkeit der Imagination anlege, die dadurch niedergehalten und verhindert werde, sich zu der Höhe des Fluges zu schwingen, die sie sonst die Fähigkeit gehabt hätte zu erreichen.
Diese Lehre wird zu gegenwärtiger Zeit, wie ich fürchte, viel zu weit getrieben. Denn warum sollte das Bücherschreiben so sehr von allen übrigen Künsten verschieden sein? Die Leichtfüßigkeit eines Tanzmeisters leidet gar nicht dadurch, daß man ihn gelehrt hat, wie man die Glieder bewegen muß, und kein Handwerker führt deswegen seine Werkzeuge schlechter, weil er weiß, wie er sie gebrauchen soll. Ich meinesteils, ich kann mir nicht einbilden, daß Homer oder Virgil mit mehr Feuer geschrieben haben würden, wenn sie, anstatt im Besitz aller Gelehrsamkeit ihrer Zeit zu sein, wirklich ebenso unwissend gewesen wären, als die meisten Autoren unsrer Tage. Auch glaube ich nicht, daß alle die Imagination, das Feuer und die Beurteilungskraft eines Pitt die Reden hervorgebracht haben würden, welche den britischen Senat, zu diesen unsern Zeiten, in Ansehung der Beredsamkeit zum Nebenbuhler des griechischen und römischen machen, wäre er nicht in den Schriften des Demosthenes und Cicero dergestalt belesen gewesen, daß er ihren ganzen Geist in seine Reden übertrug, und mit ihrem Geiste auch zugleich ihre Wessenschaften.
Ich möchte hier nicht so verstanden werden, als bestünde ich darauf, daß ein jeglicher von meinen Brüdern eben den Schatz von gelehrten Kenntnissen besitzen sollte, der, wie Cicero uns bereden will, demjenigen nötig ist, der ein Redner sein will. Ganz und gar nicht! Ich bin vielmehr der Meinung, daß für einen Poeten nur sehr wenig, für den Kritiker noch weniger, und für den politischen Redner die wenigste Belesenheit erforderlich sei. Für den ersten reicht vielleicht Bussys Dichtkunst und einige wenige von unsren neueren Poeten völlig aus; für den zweiten ein mäßiges Bündel von Schauspielen, und für den letzten eine Olla Potrida von politischen Journalen.
Die Wahrheit zu sagen, verlange ich weiter nichts, als daß ein Mann einige wenige Kenntnisse von dem Gegenstande besitze, den er bearbeitet, zufolge der alten Maxime der Gesetze:
Quam quisque norit artem in ea se exerceat.
Mit dieser allein kann sich ein Schriftsteller zuweilen so ziemlich aus dem Handel ziehen, und ohne diese wird ihm freilich alle übrige Gelehrsamkeit in der ganzen Welt eben nicht sonderlich zu statten kommen.
Zum Beispiele laßt uns annehmen, daß Homer und Virgil, Aristoteles und Cicero, Thukydides und Livius, alle hätten zusammenkommen und alle ihre verschiedenen Talente in eine gemeinschaftliche Masse werfen können, um eine Abhandlung von der Tanzkunst zu [92] verfertigen, ich glaube, man wird gerne zugeben, daß sie nichts so Gutes herausgebracht hätten, als die vortreffliche Abhandlung, welche uns Herr Essex 1 über den Gegenstand geliefert hat, unter dem Titel: Anfangsgründe der hochadeligen Erziehungskunst. Und in der That sollte man den vortrefflichen Herrn Broughton dahin vermögen können, die Feder in die Faust zu nehmen und die vorbesagten Anfangsgründe weiter auszuführen dadurch, daß er die wahren Grundsätze der Athletik zu Papier brächte, so zweifle ich, ob die Welt die geringste Ursache haben würde, zu bedauern, daß keiner von den großen Schriftstellern, weder unter den alten noch neueren, über diese edle und nützliche Kunst eine
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