Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Abhandlung geschrieben hat.
Um in einer so klaren Sache nicht unnötigerweise die Beispiele zu häufen und gradeswegs auf meinen Punkt zu kommen, bin ich geneigt, dafürzuhalten, daß eine Ursache, warum manche unsrer heutigen Schriftsteller so sehr zu kurz kommen, wenn sie die Sitten und Manieren der vornehmen Welt beschreiben, vielleicht darin liegt, daß sie wirklich nicht das geringste davon wissen.
Dies ist eine Wissenschaft, welche zu erlangen unglücklicherweise nicht in dem Vermögen mancher Autoren steht. Bücher geben uns davon nur einen sehr unvollkommnen Begriff; die Schaubühne einen nicht viel bessern. Der artige junge Herr, der sich nach den ersten bildet, wird fast allemal ein Pedant werden, so wie der, der sich nach der letzten formiert, ein bloßer Stutzer.
So sind auch die Charaktere, die man nach diesen Modellen zeichnet, eben nicht richtiger gehalten, Vanbrugh und Congreve zeichneten nach der Natur. Die jenigen aber, welche sie kopieren, geben uns Zeichnungen, welche unsern heutigen Menschen so unähnlich sind, als es dem Hogarth ergehen würde, wenn er eine Thee- oder Spielgesellschaft in den Draperien eines Titian oder Vandyk malen wollte. Kurz, die Nachahmung fällt hier immer zu kurz. Das Gemälde muß nach der Natur selbst gemacht werden. Eine wahre Kenntnis der Welt gewinnt man nur durch den Umgang; und wenn man die Sitten und Manieren eines jeden Rangs kennen will, so muß man sie sehen.
Nun aber ist der Fall, daß man die höhern Stände unter den Sterblichen nicht so, wie den Ueberrest des Menschengeschlechts, auf den Gassen, in den Kramläden und auf den Kaffeehäusern umsonst zu sehn bekommen kann; und ebensowenig, gleich den großen, raren Tieren, das Stück um so und so viel öffentlich zeigt. Kurz, dies ist ein Schauspiel, wozu niemand zugelassen wird, der nicht eine oder die andere von folgenden Eigenschaften besitzt, nämlich: entweder vornehme Geburt, oder großen Reichtum, oder was so gut ist ist als alle beide, die rühmliche Profession eines Spielers. Und zum Unglück für die Welt mögen sich Personen mit diesen Eigenschaften nur selten mit dem schlechten Gewerbe der Schriftstellerei befassen; denn gewöhnlich läßt sich nur die niedrigere und ärmere Gattung [93] darauf ein, weil es ein Geschäft ist, wozu nach vieler Meinung gar keine Vorlage erfordert wird.
Daher bekommen wir denn die sonderbaren Mißgestalten in besetzten, gestickten Kleidern, in seidenen und brokadenen Roben, mit allerlei Frisur und ungeheuern Reifröcken, welche unter den Namen von Ministern, Präsidenten, Grafen und Baronen, und eben den weiblichen Benennungen, sich auf der Schaubühne herumtreiben, zum innigsten Vergnügen der Studenten und Kaufmannsburschen im Parterre, und des ehrlichen Bürgers und Handwerksmanns in den Logen und auf den Gallerien, und welche ebensowenig im wirklichen Leben anzutreffen sind, als der Centaur oder ein jedes anderes Geschöpf der verschrobenen Einbildungskraft. Um aber dem Leser ein Geheimnis zuzuraunen, so ist diese Kenntnis der vornehmen Welt zwar freilich notwendig genug, um allerlei Irrtümer zu vermeiden; aber eine erkleckliche Hilfsquelle ist sie gleichwohl nicht für einen Schriftsteller, welcher Komödien oder jene Art von Romanen schreibt, die gleich diesem, an dem ich arbeite, zur komischen Klasse gehören.
Was Pope von den Weibern sagt, läßt sich auf die meisten Menschen jener hohen Welt anwenden, daß sie nämlich so durchgängig aus Form und Affektation zusammengesetzt sind, daß sie ganz und gar keinen, wenigstens keinen sichtbaren Charakter haben. Ich will wagen es herauszusagen: daß das vornehmste Leben das schalste und langweiligste ist, und nur wenig Eigenes, Außerordentliches und Unterhaltendes hat. Die verschiedenen Gewerbe und Beschäftigungen der niedern Sphären bringen die große Mannigfaltigkeit von abstechenden Charakteren hervor. Dahingegen hier, die wenigen ausgenommen, welche der Ehrgeiz peitscht, und die noch wenigern, welche dem Vergnügen nachjagen, alles Eitelkeit und knechtische Nachahmung ist. Sich ankleiden, Karten spielen, essen und trinken, Bücklinge und Knickse machen, darin besteht das ganze Geschäft ihres Lebens.
Gleichwohl gibt es einige von diesem Range, über welche die Leidenschaft ihre Tyrannei ausübt und sie über die Schnur hinausschleudert, die der Wohlstand vorschreibt. Unter diesen zeichnen sich die Damen, durch ihre edle Dreistigkeit und eine gewisse vornehme Verachtung der Nachrede, von den schwachen
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