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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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Damen macht sich ein Mann oft sehr beliebt, indem er andre Frauenzimmer preist, und unterdessen daß er seine feurigen und großmütigen Gesinnungen für seine Geliebte ausdrückt, gehen sie mit dem Gedanken um, was für ein reizender Liebhaber dieser Mann für sie sein müßte, der alle diese Zärtlichkeit für einen geringern Grad von Verdiensten fühlen kann. Hiervon, so seltsam es scheinen mag, habe ich manches Beispiel gesehen, noch außer Madame Fitz Patrick, welcher alles dieses wirklich begegnete, und welche jetzt für Herrn Jones ein gewisses etwas zu fühlen begann, wovon sie die Symptome viel eher verstand, als Sophie solche ehedem verstanden hatte.
    Vollkommne Schönheit ist, die Wahrheit zu bekennen, an beiden Geschlechtern ein weit unwiderstehlicherer Reiz, als man gewöhnlich denkt; denn ungeachtet, daß sich einige von uns mit einem geringeren Los begnügen und als eine aufgegebene Lektion auswendig lernen (wie Kinder in den Schulen ihre Sprüche aufsagen, ohne bei den Worten etwas zu denken), daß man nicht auf das Aeußerliche, [208] sondern auf wesentliche Vorzüge sehen müsse, so habe ich doch immer bemerkt, wenn eine vollendete Schönheit zum Vorschein gekommen ist, daß jene wesentlichern Vorzüge bloß mit der Art von Glanze scheinen, welche man an den Sternen wahrnimmt, nachdem die Sonne aufgegangen ist.
    Als Jones seine Ausrufungen geendigt hatte, wovon viele im Munde des Oroondates selbst nicht unzierlich geklungen haben würden, holte Madame Fitz Patrick einen tiefen Seufzer, wendete ihre Augen vom Herrn Jones ab, auf welchen solche eine Zeitlang geheftet gewesen waren, senkte ihre Blicke zur Erde und rief: »In der That, Herr Jones, ich bedaure Sie! Aber gewöhnlich ist es das Los solcher Zärtlichkeit, daß sie an solche Personen verschwendet wird, die dagegen unempfindlich sind! Ich kenne meine Kousine besser als Sie, Herr Jones, und ich muß sagen, daß jedes Frauenzimmer, das eine solche Leidenschaft und eine solche Person nicht mit Gegenliebe erkennt, beider unwürdig ist.«
    »In Wahrheit, gnädige Frau,« sagte Jones, »Sie können nicht meinen –« – »Meinen?« rief Madame Fitz Patrick, »ich weiß nicht, was ich meine. In der wahren Zärtlichkeit, denk' ich, liegt ein gewisser Zauber! Nur sehr wenige Frauenzimmer treffen solche bei Mannspersonen an, und noch wenigere wissen sie, wenn sie solche antreffen, sie nach ihrem wahren Werte zu schätzen. Ich habe noch niemals solche wahre, edle Gesinnungen gehört, und ich weiß nicht wie es zugeht, aber Sie zwingen einen, Ihnen zu glauben. Wirklich, es muß das nichtswürdigste Frauenzimmer sein, welches solche Verdienste zu übersehen imstande ist.«
    Ton und Blick, womit alles dieses gesprochen wor den, flößten Herrn Jones einen Argwohn ein, welchen wir dem Leser nicht gerne mit dürren Worten mitteilen wollen. Anstatt darauf zu antworten, sagte er: »Ich fürchte, gnädige Frau, ich habe Ihnen mit meinem Besuch zu viel Langeweile gemacht!« Und dabei machte er Anstalt zum weggehn.
    »Ganz und gar nicht, Herr Jones!« antwortete Madame Fitz Patrick. – »In Wahrheit, ich bedaure Sie, Herr Jones, in Wahrheit, das thu' ich! Wenn Sie aber schon weggehn wollen, so überlegen Sie ja den Plan, den ich Ihnen gesagt habe. Ich bin überzeugt, Sie werden ihn billigen, und besuchen Sie mich wieder, sobald Sie können – morgen früh, wenn Sie belieben, oder zu welcher Stunde Sie morgen sonst wollen. Ich will den ganzen Tag zu Hause bleiben.«
    Hierauf nahm Jones unter vielen Danksagungen sehr ehrerbietigen Abschied; auch konnte Madame Fitz Patrick sich nicht entbrechen, ihm ein Abschiedspräsent mit einem Blicke zu machen, der so deutlich sprach, daß, wenn er daraus nichts verstanden hätte, er gar keinen Begriff von der Augensprache gehabt haben müßte. Wirklich bestärkte dieser Blick seinen Entschluß, nicht wieder zu ihr zu gehen, denn so fehlerhaft er auch bisher in dieser Geschichte geschienen hat, so waren doch jetzt seine Gedanken so gänzlich auf Sophie eingeschränkt, daß ich glaube, kein weibliches Geschöpf auf [209] Gottes Erdboden hätte ihn nun mehr zu einer Handlung der Unbeständigkeit verleiten können.
    Madame Fortuna aber, die nicht seine Freundin war, beschloß, weil er willens wäre, ihr keine zweite Gelegenheit zu geben, sich die jetzige zu nutze zu machen, und demzufolge richtete sie den tragischen Vorfall in die Wege, welchen wir nun in klagenden Tönen erzählen wollen.

Zehntes Kapitel.
    Folgen des vorigen

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