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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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gewesen.
    Die erste ging geradeswegs hin zu Sophie, wohin wir sie ebenfalls begleiten wollen.

Sechstes Kapitel.
    Madame Miller stattet bei Sophie einen Besuch ab.
     
    Es hielt keineswegs schwer, bei Sophie vorgelassen zu werden; denn da sie jetzt auf einem sehr freundschaftlichen Fuß mit ihrer Tante lebte, so hatte sie ihre völlige Freiheit, alle Besuche anzunehmen, die ihr gefielen.
    Sophie war im Ankleiden begriffen, als man ihr meldete, daß unten ein wohlgekleidetes Frauenzimmer wäre, die ihr aufzuwarten wünschte. Da sie sich weder fürchtete noch schämte, sich vor jeder Person ihres Geschlechts sehen zu lassen, so ward Madame Miller augenblicklich angenommen.
    Nachdem die Verbeugungen und Zeremonien, welche unter zwei einander sich völlig unbekannten Frauenzimmern gewöhnlich sind, abgethan waren, sagte Sophie: »Ich habe nicht das Vergnügen, Madame, Sie zu kennen.« – »Nein, mein gnädiges Fräulein,« antwortete Madame Miller, »und ich muß um Vergebung bitten, daß ich so frei bin, mich Ihnen aufzudringen. Wenn Sie aber vernehmen, was mich vermocht hat, Ihnen beschwerlich zu fallen, so hoffe ich« – »Ich bitte, Madame, eröffnen Sie mir Ihr Begehren,« sagte Sophie mit einer kleinen Gemütsbewegung. – »Mein gnädiges Fräulein, wir sind nicht allein,« versetzte Madame Miller mit leiser Stimme. – »Bis ich Sie wieder rufe, Betty!« sagte Sophie.
    Als Betty hinausgegangen war, sagte Madame Miller: »Mein gnädiges Fräulein, ich bin von einem sehr unglücklichen jungen Manne ersucht worden, Ihnen diesen Brief zuzustellen.« Sophie entfärbte sich, als sie die Aufschrift erblickte, weil sie die Hand sehr gut kannte, und nach einigem Besinnen sagte sie: »Aus Ihrem Aeußern, Madame, hätte ich nicht schließen sollen, daß Ihr Anliegen von einer solchen Art sei. – Von wem Sie aber auch diesen Brief bringen mögen, ich zum wenigsten werde ihn nicht erbrechen. Es sollte mir leid thun, von irgend jemand eine ungerechte Meinung zu fassen, aber Sie wissen, ich kenne Sie ganz und gar nicht.«
    »Wenn Sie Geduld haben wollen, mein gnädiges Fräulein,« antwortete Madame Miller, »so will ich Ihnen sagen wer ich bin und wie ich zu diesem Briefe gekommen.« – »Ich bin nicht so neugierig, Madame, das geringste wissen zu wollen,« rief Sophie, »nur [232] muß ich Sie bitten, diesen Brief derjenigen Person wieder zuzustellen, die Ihnen denselben gegeben hat.«
    Madame fiel auf ihre Kniee und bat aufs innigste um ihr Mitleiden, worauf Sophie antwortete: »Gewiß, Madame, es ist höchst wunderbar, daß Sie sich so stark für diese Person interessieren können. – Ich möchte nicht gerne glauben, Madame« – »Nein, mein bestes Fräulein,« sagte Madame Miller, »Sie müssen nichts glauben als was Wahrheit ist. Ich will Ihnen alles erzählen und dann wird Sie's nicht wundern, daß ich mich so interessiere. Es ist der edelmütigste junge Mann, der jemals geboren ist.« – Hierauf begann sie die Geschichte des Herrn Anderson zu erzählen und als sie damit zu Ende war, rief sie: »Dies, gnädiges Fräulein, dies sind Züge seines vortrefflichen Herzens, aber ich habe ihm Dinge zu verdanken, die meinem Herzen noch weit näher angehen. Er hat mein Kind gerettet.« Hier erzählte sie, nachdem sie erst einige Thränen verweint hatte, alles und jedes, was sich auf diesen Umstand bezog, und ließ nur bloß einige kleine Nebendinge aus, die einen zu starken Schatten auf ihre Tochter geworfen haben möchten, und beschloß endlich damit, daß sie sagte: »Nun, mein teuerstes Fräulein, mögen Sie urteilen, ob ich wohl jemals genug thun kann für einen so gütigen, so edlen, so großmütigen Herrn! Und gewiß, einer der besten und würdigsten von Gott geschaffnen Menschen ist Er!«
    Sophiens Gesichtsentfärbung war bis jetzt hauptsächlich zu ihrem Nachteile ausgefallen, und ihre feine weiße Haut hatte fast eine zu blasse Tinte angenommen, aber jetzt färbte sich solche röter als der feurigste Zinnober, und sie sagte: »Was soll ich dazu sagen? Das was die Dankbarkeit einflößt kann man nicht tadeln. – Was aber kann es Ihrem Freunde nützen, wenn ich seinen Brief lese? da ich einmal fest entschlossen bin, niemals« – Madame Miller legte sich von neuem aufs Bitten und Flehen und sagte, sie könne ihn ja doch nicht wieder mit zurücknehmen. – »Gut, Madame,« sagte Sophie, »ich kann es nicht hindern, wenn Sie mir ihn mit Gewalt aufdringen wollen – Sie können ihn freilich allemal da lassen, ob ich

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