Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
der That hab' ich ihn betrachtet, als ein Kind, das die Vorsehung meiner Sorgfalt anvertraut hätte. Ich erinnere mich noch immer der unschuldigen, hilflosen Lage, worin ich ihn fand; ich fühle noch, wie er mit seinen kleinen Händen so sanft die meinigen drückte. Er war mein Liebling; gewiß! das war er!« Bei diesen Worten schwieg er still und die Thränen standen ihm in den Augen.
Da uns die Antwort, welche Madame Miller hierauf gab, zu frischen Materien leiten kann, so wollen wir hier einen Halt machen, um die sichtbare Veränderung in Herrn Alwerths Gesinnungen und die Abnahme seines Zorns gegen Jones zu erklären. Veränderungen von dieser Art kommen freilich, es ist wahr, häufig vor, bei Geschichtschreibern sowohl, als dramatischen Schriftstellern, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil die Geschichte oder das Schauspiel [258] zu Ende eilt, und werden durch das Ansehen der Autoren gerechtfertigt; allein ob wir gleich auf nicht weniger Ansehen, als irgend ein anderer Autor, ein Recht haben, so wollen wir uns doch dieser Gewalt nur sehr sparsam und niemals anders bedienen, als wenn uns die höchste Not dazu drängen sollte; und so viel wir gegenwärtig voraussehen, wird diese höchste Not in gegenwärtiger Geschichte wohl schwerlich eintreten.
Diese Veränderungen und Gesinnungen des Herrn Alwerth waren durch einen Brief veranlaßt, den er eben vom Herrn Quadrat erhalten hatte und welchen wir gleich anfangs im nächsten Kapitel dem Leser vorlegen wollen.
Viertes Kapitel.
Enthält zwei Briefe in ganz verschiedenem Stile.
»Mein würdigster Freund!
In meinem vorigen hab' ich Ihnen berichtet, daß man mir den Gebrauch des Wassers untersagt hat, weil die Erfahrung zeigte, daß es die Symptome meiner Krankheit eher verschlimmerte, als verbesserte. Jetzt muß ich Ihnen eine Nachricht schreiben, die, wie ich glaube, meinen Freund mehr betrüben wird, als sie mich betrübt hat: meine beiden braven Aerzte haben mir es nicht verhehlt, daß zu meiner Besserung keine Hoffnung mehr ist.
Ich habe irgendwo gelesen, der große Nutzen der Philosophie bestehe darin, sterben zu lernen. Ich will die meinige also nicht so tief heruntersetzen und darüber betroffen zu sein scheinen, wenn ich eine Lektion erhalte, die ich, Aller Meinung nach, so lange schon studiert haben muß. Jedoch, die Wahrheit zu sagen, lehrt eine Seite aus der christlichen Religion diese Lektion besser, als alle Folianten der ältern und neuern Philosophie. Die Zusicherung, welche das Evangelium uns von einem andern Leben gibt, ist einem guten Gemüte eine viel stärkere Stütze, als alle die Trostgründe, hergenommen von der Notwendigkeit zu sterben; von der Leerheit oder Sättigung im Genuß aller Dinge auf Erden; oder, was der Texte zu allen diesen Deklamationen mehr sein mögen, welche zuweilen vermögend sind, unsre Gemüter mit einer sinnlosen Geduld zu bewaffnen, um die Gedanken an den Tod zu ertragen, aber niemals hinreichen, den Tod selbst nur wirklich verachten, und viel weniger ihn als ein wahres Gut betrachten zu können. Ich wünsche nicht, daß Sie mich hier so verstehen möchten, als wollt' ich allen denjenigen, welche sich Philosophen nennen, den scheußlichen Vorwurf machen, als wären sie Atheisten oder als leugneten sie geradezu die Unsterblichkeit der Seele. Viele der philosophischen Sekten, sowohl der alten als der neuern, haben aus dem Lichte der Natur eine Hoffnung auf ein künftiges Leben geschöpft; aber in der That war dieses Licht so dunkel und schwach, und die Hoffnungen waren so ungewiß und schwankend, daß man mit Recht zweifeln darf, auf welche Seite ihr Glaube sich neigte. Selbst Plato schließt seinen [259] Phädon damit, daß er erklärt, seine stärksten Gründe gäben höchstens nur eine Wahrscheinlichkeit; und selbst Cicero läßt mehr eine Neigung blicken, daß er die Lehre von der Unsterblichkeit glauben möchte, als eine Ueberzeugung, daß er sie glaube. Was mich anbetrifft, um ganz offenherzig gegen Sie herauszugehen, so ist mirs mit diesem Glauben nie ein Ernst gewesen, bis ich im Ernst ein Christ geworden bin.
Sie wundern sich vielleicht über diesen letzten Ausdruck! Aber ich versichere Sie, es ist nur erst seit ganz kurzem, daß ich mich mit Wahrheit so nennen kann. Der Stolz der Philosophie hatte meine Vernunft berauscht, und die erhabenste Weisheit kam mir vor, wie ehemals den alten Griechen, als eine Thorheit. Indessen ist Gott so gnädig gewesen, mich meinen Irrtum noch zu rechter Zeit
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