Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
einsehen zu lassen und mich auf den Weg der Wahrheit zu leiten, ehe ich in den Abgrund der Finsternis hinunter sank.
Ich finde, daß meine Kräfte merklich abnehmen: ich will also eilen, auf den Hauptzweck meines Briefs zu kommen.
Wenn ich die Handlungen meines vergangenen Lebens überdenke, so find' ich nichts, das mir so schwer auf dem Gewissen läge, als die Ungerechtigkeit, deren ich mich gegen das arme Unglückskind, Ihren angenommenen Sohn, schuldig gemacht habe. Ich habe wirklich nicht nur zu der Bosheit anderer geschwiegen, sondern hab' ihn selbst thätig mit verfolgt. Glauben Sie mir, teuerster Freund, wenn ich Ihnen auf das Wort eines Sterbenden sage, man hat ihn sehr niederträchtiger Weise verleumdet. Was das Hauptfaktum betrifft, auf dessen fälschliche Vorstellung Sie ihn aus dem Hause gestoßen haben, so versichere ich Sie aufs feierlichste, er ist desselben nicht schuldig. Damals, als Sie nach unsrer Meinung auf dem Sterbebette lagen, war er der einzige Mensch im Hause, der eine wahre Betrübnis fühlte; und was sich darauf mit ihm zutrug, entsprang aus der ausgelassenen Freude über Ihre Genesung, und, ich sag' es ungern, aus der Niederträchtigkeit einer andern Person – doch meine Absicht ist nur, den Unschuldigen zu rechtfertigen, und nicht, jemand anzuklagen. Glauben Sie mir, mein Freund, dieser Jüngling besitzt die edelste Großmut des Herzens, die vollkommenste Fähigkeit zur Freundschaft, die unverbrüchlichste Redlichkeit, und in der That jede Tugend, die einen Mann wirklich adeln kann. Er hat seine Fehler, darunter aber kann man gewiß keinen Mangel pflichtvoller Anhänglichkeit oder Dankbarkeit gegen Sie rechnen. Im Gegenteile weiß ich gewiß, daß, als Sie ihn aus Ihrem Hause entließen, sein Herz mehr für Sie blutete, als für sich selbst.
Eigennützige Absichten waren die niedrigen schändlichen Ursachen, warum ich Ihnen dieses so lange verhehlte; und jetzt kann ich keine andern Gründe haben, es zu entdecken, als das Verlangen, der Wahrheit einen Dienst zu leisten, der Unschuld zu ihrem Recht zu helfen, und was ich vormals Uebels gestiftet, so viel in meinem Vermögen steht, wieder gut zu machen. Ich hoffe daher, diese Erklärung werde die gewünschte Wirkung thun und diesem verdienstvollen Jüngling Ihre Liebe und Gewogenheit wieder erwerben. Dieses [260] noch bei meinem Leben zu erfahren, würde ein höchst erquickender Trost sein für
Ihren höchst verbundenen,
gehorsamst ergebenen Diener
Thomas Quadrat.«
Nach diesem Briefe wird sich der Leser kaum wundern, daß Herr Alwerth so sichtbarlich verändert schien, ob er gleich mit derselben Post einen andern Brief ganz verschiedener Art von Herrn Schwöger erhalten hatte, welchen wir hier beifügen wollen, weil es vielleicht das letztemal ist, daß wir Gelegenheit haben, den Namen dieses geistlichen Herrn zu nennen.
»Hochzuehrender Herr Kirchenpatron!
Es wundert mich ganz und gar nicht, daß ich durch Ihren würdigen Herrn Neffen abermalige Beweise von der Ruchlosigkeit des Schülers von Herrn Quadrat, dem heillosen Atheisten, habe vernehmen müssen. Ich werde mich über keine Mordthat wundern, die er ausüben wird, und flehe nur zum Himmel, daß nur Ihr eigenes Blut nicht noch sein Endurteil besiegle, welches ihn hin an den Ort verdammen wird, wo ewiges Heulen ist und Zähneklappern.
Ob es Ihnen wohl ohnedem nicht an hinlänglichen Erweckungen fehlen kann, um die manchen Schwachheiten zu bereuen, wovon Sie, in Ihrem Betragen gegen diesen Verworfenen, Beispiele gegeben, und dadurch sich selbst, Ihrem Charakter und Ihren wahren Anverwandten Nachteil und Schaden genug zugefügt haben – ob dieses alles gleich, sag' ich, allem Vermuten nach, Ihr Gewissen hinlänglich beißen und brennen mag: so würde ich dennoch eine meiner heiligsten Pflichten versäumen, wenn ich es unterließe, Ihnen einige Lehren und Warnungen zu erteilen, die Sie zu einem bußfertigen Gefühle Ihrer begangenen Irrtümer erwecken können. Ich ermahne Sie also im Namen des Herrn, erwägen Sie wohl die schweren Gerichte, welche über dem Haupte des gottlosen Mörders schweben und nicht unterlassen werden, ihn zu treffen, und lassen Sie sich solche selbst wenigstens eine Warnung sein, damit Sie hinfüro nicht den Rat eines treuen Knechts des Herrn für gering achten, welcher Tag und Nacht anhält im Gebete für Ihr ewiges Wohlergehn.
Wäre nicht meiner Hand Einhalt gethan worden, die Zuchtrute gehörig zu führen, so hätt' ich vieles von
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