Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
Brief erregte, von selbst mit zu Boden, und Schwöger, auf den er äußerst unwillig war, mußte die ganze Last von dem, was Quadrat in allgemeinen Ausdrücken von Jones' Feinden gesagt hatte, allein tragen.
Was den Herrn Neffen betraf, so fing Alwerths Unwille über ihn nach und nach an, sich zu legen. Er sagte zu Blifil, er wollte ihm nicht nur die außerordentliche Betrübnis seines guten Herzens verzeihen, sondern ihm auch das Vergnügen machen, seinem Beispiele zu folgen. Drauf wandte er sich gegen Madame Miller und sagte zu ihr mit einem Lächeln, das einem Engel hübsch gelassen haben würde: »Wie wär's, Madame, wenn wir einen Mietwagen kommen ließen, setzten uns alle hinein und machten Ihrem Freunde einen Besuch? – Glauben Sie nur, der erste Besuch wäre es nicht, den ich in einem Gefängnis machte!«
Ein jeglicher Leser, glaube ich, wird im stande sein, für die würdige Frau zu antworten; wer aber das fühlen kann, was sie bei dieser Gelegenheit fühlte, der muß gewiß nicht wenig Gutmütigkeit besitzen und mit dem, was Freundschaft heißt, sehr vertraut sein. Wenige, hoffe ich, sind vermögend, das zu fühlen, was jetzt in Blifils Seele vorging. Diejenigen aber, die diese Fähigkeit haben, werden gestehn, daß es ihm nicht möglich war, gegen diesen Besuch eine Einwendung zu finden. Das Glück aber, oder der obgedachte Herr von Urian, sprang hier in die Bucht, und half ihm ab von dieser Sandbank. Denn in eben dem Augenblicke, da nach dem Wagen geschickt wurde, langte Rebhuhn an, und nachdem er Madame Miller herausrufen lassen, erzählte er ihr den erschrecklichen Umstand, der erst kürzlich ans Licht gekommen war, und da er Herrn Alwerths Vorhaben erfuhr, bat er, sie möchte doch ein Mittel aussinnen, ihn davon abzuhalten. »Denn,« sagte er, »vor ihm muß es geheim bleiben, es gehe auch wie es wolle; und wenn er jetzund hinkäme, so fände er Herrn Jones und seine Mutter (welche eben hinkam, als ich ihn verließ), die gegen einander die abscheuliche Blutschande bejammern, welche sie unwissenderweise begangen haben.«
Die arme Frau, welche über diese Nachricht so erschrak, daß sie fast darüber von Sinnen kam, war in ihrem Leben nicht weniger aufgelegt gewesen, etwas zu erfinden, als eben jetzt. Gleichwohl sind die Weiber mit solchen Erfindungen eher fertig als die Männer. Sie besann sich also auf einen Vorwand und sagte: »Sie werden sich gewiß wundern, Herr von Alwerth, wenn Sie hören, daß gerade ich gegen Ihr so gütiges Vorhaben, das sie eben geäußert, etwas einzuwenden habe, und dennoch ist mir vor den Folgen angst, die es haben kann, wenn Sie es sogleich ausführen wollten. Sie können [266] sich leicht vorstellen, liebster Herr von Alwerth, daß der Jammer und die Not, welche der junge Mann seit kurzem erlitten hat, sein Gemüt äußerst niedergeschlagen und geschwächt haben müssen. Wenn wir nun alle hinkämen und überfielen ihn, ohne alle Vorbereitung, mit einer so heftigen Freude, die ihm wie ich weiß, Ihr Besuch verursachen wird, so fürchte ich, daß es ihm einen schlimmen Unfall zuziehen möchte; zumal mir sein Bedienter, der eben draußen ist, sagt, daß er sich gar nicht wohl befinde.«
»Ist sein Bedienter draußen?« rief Alwerth, »o, ich bitte, lassen Sie ihn hereinkommen; ich will ihm einige Fragen über seinen Herrn thun.«
Rebhuhn fürchtete sich anfangs vor Herrn Alwerth zu erscheinen, ließ sich aber endlich überreden, nachdem Madame Miller, die seine ganze Geschichte mehr als einmal aus seinem eignen Munde gehört hatte, ihm versprach, daß sie ihn einführen wollte.
Alwerth erinnerte sich des Rebhuhns den Augenblick, da er ins Zimmer trat; obgleich manches Jahr verflossen war, seitdem er ihn gesehn hatte. Madame Miller hätte also füglich ihre feierliche Einführungsrede sparen können, in welcher sie fast ein wenig wortreich war. Denn der Leser, glaube ich, wird schon die Bemerkung gemacht haben, daß die brave Frau, unter andern Gaben zum Dienste ihrer Freunde, auch eine allzeitfertige Zunge besaß.
»Er ist also,« sagte Herr Alwerth zu Rebhuhn, »der Bediente des Herrn Jones?« – »Ich kann eben nicht sagen,« antwortete er, »daß ich sein ordentlicher Bedienter wäre; aber ich bin, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, jetzund so bei ihm.
Non sum qualis eram,
wie Euer Gnaden wohl wissen.«
Herr Alwerth fragte ihn hierauf allerlei, den Herrn Jones betreffend; zum Beispiel, nach seinem Befinden und dergleichen, welches alles Rebhuhn beantwortete, ohne im
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