Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
gesagt, was ich gesagt habe, wär' es nicht aus Gefälligkeit gegen Sie geschehn.« – »Sie würden nicht gedacht haben, glaube ich«, sagte Alwerth, »mir eine Gefälligkeit zu erzeigen, wenn Sie gewußt hätten, daß dieser Herr Jones mein eigener Neffe sei.« – »Ich weiß wohl, Herr von Alwerth,« antwortete er, »daß es sich für mich nicht schickte, zu thun, als ob ich etwas wüßte, das Sie nach meiner Meinung gern geheim halten wollten.« – »Wie so?« schrie Alwerth; »Sie wußten das also?« – »Je nun, Herr!« antwortete Dowling, »weil Euer Gnaden mir befehlen, die reine Wahrheit zu sagen, so muß ich's ja thun. – Allerdings Herr, wußt ich's; denn es waren fast die letzten Worte, welche Madame Blifil in ihrem Leben sprach, die sie zu mir sagte, als ich allein an ihrem Sterbebette stand, als sie mir den Brief übergab, den ich Euer Gnaden von ihr überbrachte.« – »Was für einen Brief?« rief Alwerth. – »Je, der Brief,« antwortete Dowling, »welchen ich von Salisbury überbrachte, und welchen ich dem Herrn Blifil in die Hände gab.« – »Um Gotteswillen!« rief Alwerth. »Gut! Aber, wie lauteten die Worte? [280] Was war's, das meine Schwester zu Ihnen sagte?« – »Sie faßte mich bei der Hand,« antwortete er, »und sagte dabei, indem sie mir den Brief gab: ›Ich weiß kaum was ich geschrieben habe. Sagen Sie meinem Bruder, daß Tom Jones sein Neffe ist. Er ist mein Sohn, Gott möge ihn segnen!‹ – sagte sie, und darauf fiel sie zurück, als ob sie in dem Augenblick sterben sollte. Ich rief alsobald Leute herbei, und sie sprach weiter kein Wort mit mir; denn wenige Minuten drauf starb sie.« – Alwerth stand eine Minute stumm mit gen Himmel gerichteten Augen – und dann wendete er sich gegen Dowling und sagte: »Wie kamen Sie dazu, Herr, daß Sie mir diese Botschaft nicht ausrichteten?« – »Eure Gnaden werden sich erinnern,« antwortete er, »daß Sie damals bettlägrig waren; und da ich in großer Hast war, wie ich wirklich immer bin, so vertraute ich den Brief und die Botschaft an Herrn Blifil, welcher mir sagte, er würde beides an Sie bestellen, und nachmals hat er mir auch gesagt, daß er's gethan habe, und Euer Gnaden wollten teils aus Freundschaft für Herrn Jones, und teils aus Schonung für die Ehre Ihrer Schwester, gar nichts davon gesprochen wissen, sondern wollten es vor der Welt verborgen halten; und deswegen, wenn Euer Gnaden es nicht zuerst gesagt hätten, so hätt' ich gewiß in meinem Leben nicht gedacht, daß es für mich schicklich wäre, weder gegen Euer Gnaden, noch sonst jemand das geringste Wort von der Sache zu erwähnen.«
Wir haben bereits irgendwo die Bemerkung gemacht, wie es einem Manne möglich sei, eine Lüge durch Worte der Wahrheit zu verstehen zu geben. Dies war hier gegenwärtig der Fall: denn Blifil hatte in der That dem Dowling so gesagt, wie er's jetzt erzählte; er hatte ihm aber nicht weiß gemacht, oder auch nur geglaubt, daß er fähig sei, ihm etwas weiß zu machen. Der Wahrheit nach waren die Versprechungen, welche Blifil dem Dowling gemacht hatte, die Beweggründe, welche ihn zum Stillschweigen vermochten; und da er jetzt deutlich sah, daß das Geheimnis dennoch herauskommen würde, so hielt er für ratsam, diese Beichte abzulegen, welche ihm Alwerths Versprechen der Verzeihung, zusammengenommen mit dessen Drohungen, Stimme, Blicken und Entdeckungen, die er bereits gemacht hatte, abnötigten; da er noch dazu unvermutet überrascht wurde, und keine Zeit hatte auf Ausflüchte zu sinnen.
Alwerth schien dieser Erzählung Glauben beizumessen; und, nachdem er dem Dowling über das Vorgefallene das genaueste Stillschweigen auferlegt hatte, begleitete er den Herrn Anwalt selbst bis an die Thüre, damit er keine Gelegenheit hätte, mit Blifil zu sprechen, welcher wieder hinaufgegangen war nach seinem Zimmer, und sich daselbst mit dem Gedanken an die letzte Nase, die er seinem Onkel gedreht hatte, ergötzte, und sich gar nicht träumen ließ, was in dem Stockwerk unter ihm seitdem vorging.
Als Herr Alwerth wieder nach seinem Zimmer hinaufgehn wollte, fand er Madame Miller unten an der Treppe, welche mit einem blassen Gesicht voller Schrecken zu ihm sagte: »O liebster Herr Alwerth, ich sehe dies gottlose Weibsbild ist bei Ihnen gewesen, [281] und Sie wissen nun alles. Aber ich bitte, verlassen Sie doch deswegen den armen jungen Menschen nicht! Bedenken Sie doch, liebster Herr, er wußte ja nicht, daß es seine eigne Mutter war! Und
Weitere Kostenlose Bücher