Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
diese Entdeckung allein schon wird ihm höchst wahrscheinlicherweise das Herz brechen, ohne daß Ihr Zorn dazu kommen darf.« – »Madame,« sagte Alwerth, »ich bin über das, was ich gehört habe, noch dermaßen erstaunt, daß ich wirklich unfähig bin, Ihnen etwas Befriedigendes zu sagen. Aber kommen Sie mit mir auf mein Zimmer! In der That, Madame Miller, ich habe wunderbare Entdeckungen gemacht, und Sie sollen sie bald erfahren.«
Die arme Frau folgte ihm zitternd nach. Und jetzt ging Herr Alwerth zu Madame Waters, nahm sie bei der Hand, wendete sich darauf gegen Madame Miller und sagte: »Was für Dank soll ich diesem guten Frauenzimmer für den Dienst abstatten, den sie mir erwiesen hat! O, Madame Miller, Sie haben mich wohl tausendmal den jungen Mann, dessen so getreue Freundin Sie sind, meinen Sohn nennen hören. Wie wenig dachte ich dazumal, daß er mir wirklich nur einigermaßen verwandt sei – Ihr Freund, Madame, ist mein Neffe. Er ist ein Bruder von der boshaften Schlange, welche ich so lange in meinem Busen genährt habe. – Sie wird Ihnen selbst die ganze Geschichte erzählen, und zugleich, wie es zugegangen, daß der Jüngling für ihren Sohn gehalten worden. In der That, Madame Miller, ich bin überzeugt, daß ihm Unrecht geschehen ist, und daß ich betrogen worden bin; betrogen von einem, den Sie mit Recht in Verdacht hatten, daß er ein Bösewicht wäre. Er ist in der That der ärgste von allen Bösewichtern.«
Die Freude, welche Madame Miller jetzt empfand, benahm ihr das Vermögen zu sprechen und möchte ihr vielleicht die Sinne, wo nicht das Leben selbst geraubt haben, hätte sich nicht ein freundschaftlicher Thränenguß zu rechter Zeit zu ihrer Erleichterung eingestellt. Endlich kam sie insoweit von ihrem Entzücken wieder zu sich selbst, daß sie reden konnte, da sie dann sagte: »So ist mein teurer Jones wirklich Ihr Neffe, und nicht der Sohn dieser Dame? Und sind Ihnen endlich die Augen aufgegangen über ihn? Und soll ich's wirklich erleben, ihn so glücklich zu sehn, als er's verdient?« – »Mein Neffe ist er gewiß,« sagte Alwerth, »und alles das übrige hoff' ich.« – »Und ist dies die teure, liebe Dame, die Person,« schrie sie, »die diese Entdeckung ans Licht gebracht hat?« – »Sie ist es allerdings,« sagte Alwerth. – »O so,« rief Madame Miller knieend, »überschütte sie, gütigster Himmel, überschütte sie mit deinem besten Segen, und dieser einer guten That wegen vergib ihr alle ihre Sünden, und wären ihrer auch wie Sand am Meer!«
Madame Waters sagte ihnen hierauf, wie sie glaube, daß Herr Jones ganz in kurzem aus dem Gefängnis werde entlassen werden; weil der Wundarzt mit einem Zeugen, der von hohem Adel, zu der obrigkeitlichen Person gegangen wäre, die ihn hatte setzen lassen, um anzuzeigen, daß Herr Fitz Patrick außer aller Gefahr sei, und also dem Gefangenen die Freiheit zu erteilen sei.
Alwerth sagte, es sollte ihn freuen, wenn er seinen Neffen vorfände, [282] wenn er wieder heimkäme; daß er aber genötigt sei, wichtiger Geschäfte halber auszugehn. Er rief darauf einen Bedienten, der ihm eine Sänfte herbeischaffen mußte, und ließ bald darauf die beiden Frauenzimmer beieinander allein.
Als Blifil hörte, daß eine Sänfte geholt würde, kam er herunter, um seinem Oheim die Aufwartung zu machen; denn an dergleichen Pflichtsbezeigungen ließ er's nie ermangeln. Er fragte seinen Onkel, ob er sich austragen lassen wolle? Welches einen Mann auf eine höfliche Art fragen heißt, wo er hingehe? Als der andre hierauf keine Antwort gab, wünschte er ferner zu erfahren, wann es ihm gefällig sein würde, wieder zu Hause zu kommen? – Alwerth antwortete auch hierauf nicht eher, als eben beim Einsitzen, da er sich umguckte und zu ihm sagte: »Höre, junger Herr! Bis ich wieder komme, suche den Brief auf, den mir deine Mutter auf ihrem Sterbebette geschrieben hat!« Hierauf gingen die Träger mit Herrn Alwerth fort und Blifil blieb in einer Stellung und Fassung, die nur ein Mensch beneiden kann, der eben zum Richtplatz geführt wird.
Neuntes Kapitel.
Weitere Fortsetzung.
Alwerth nahm die Gelegenheit, in der Sänfte den Brief von Jones an Sophie zu lesen, den ihm Western gegeben hatte, und er fand darin Ausdrücke gegen sich selbst, die ihm Thränen aus den Augen lockten. Endlich langte er in Herrn Westerns Wohnung an und ward in Sophiens Zimmer geführt.
Nachdem die ersten Komplimente vorüber waren, und Dame und Herr Stühle genommen hatten,
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