Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)
meine Familie [284] zu bekommen, nicht so leicht aufgeben. Ich habe einen nahen Verwandten, liebes Fräulein, einen jungen Mann, dessen Charakter, nach meiner besten Ueberzeugung, das gerade Gegentheil vom Charakter dieses Nichtswürdigen ist, und dessen Glücksumstände ich ebenso gut machen will, als die jenes andern hätten sein sollen. – Darf ich hoffen, liebes Fräulein, daß Sie so gütig sein wollen, einen Besuch von ihm anzunehmen?« Sophie schwieg eine Minute, und antwortete darauf: »Ich will gegen Herrn Alwerth mit der größten Aufrichtigkeit verfahren. Sein Charakter und die Verbindlichkeiten, die er mir soeben aufgelegt hat, fordern das. Ich bin für jetzt entschlossen, keinen solchen Vorschlägen von irgend einer Person Gehör zu geben. Mein einziger Wunsch ist, in der Liebe meines Vaters wieder hergestellt zu werden und von neuem wieder die Sorge für sein Hauswesen zu führen. Dies, verehrungswürdigster Herr von Alwerth, hoffe ich durch Ihre gütige Vermittlung zu erlangen. Erlauben Sie, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, bei all der Edelmütigkeit, welche ich und alle, die Sie kennen, erfahren haben, setzen Sie mich nicht in eben dem Augenblick, da Sie mich von einer Verfolgung befreit haben, wieder einer andern aus, die mich ebenso unglücklich machen, aber ebenso fruchtlos sein wird.« – »In der That, Fräulein Western,« erwiderte Alwerth, »ich bin eines solchen Betragens unfähig; und wenn dies Ihr fester Entschluß ist, so muß er sich demselben unterwerfen, er mag darunter leiden, was für Qualen es ihm auch macht.« – »Ich sollte hier fast ein wenig lächeln,« antwortete Sophie, »wenn Sie von den Leiden und Qualen eines Mannes sprechen, den ich nicht kenne, und der folglich auch nur eine geringe Kenntnis von mir haben muß.« – »Verzeihen Sie mir, liebes, teures Fräulein,« versetzte Alwerth, »ich fange jetzt an zu fürchten, daß er für die Ruhe seines künftigen Lebens eine nur zu richtige Kenntnis von Ihnen hat; denn, wenn je ein Mann einer aufrichtigen, heftigen und edlen Leidenschaft fähig ist, so weiß ich's gewiß, ist es mein Neffe für das Fräulein von Western.« – »Ihr Neffe, Herr Alwerth?« antwortete Sophie. »Das ist doch wirklich sonderbar! Ich habe bisher noch nie von einem gehört.« – »In der That, liebes Fräulein,« sagte Alwerth, »es ist bloß der Umstand, daß er mein Neffe ist, welchen Sie noch nicht wissen, und welcher auch bis auf den heutigen Tag selbst mir ein Geheimnis war. Der gute Tom Jones, der Sie schon lange geliebt hat, der, der ist mein Neffe.« – »Herr Jones? Ihr Neffe!« rief Sophie; »ist das möglich?« – »Das ist er gewiß, mein liebes Fräulein,« antwortete Alwerth. »Er ist der Sohn meiner leiblichen Schwester, und dafür werd' ich ihn beständig erkennen, und werde mich dieser Anerkennung niemals schämen. Weit mehr schäm' ich mich meines bisherigen Betragens gegen ihn. Aber seine Verdienste waren mir ebenso unbekannt als seine Geburt. In der That, mein liebes Fräulein Western, ich bin grausam mit ihm umgegangen! – wirklich, grausam!« – Hier wischte sich der gute Mann die Augen, und nach einem kurzen Stillschweigen fuhr er fort: – »Ich werde niemals im stande sein, ihm seine Leiden zu vergelten, wenn Sie mir [285] darin nicht beistehen wollen. – Glauben Sie mir, mein liebenswürdigstes Kind, ich muß eine hohe Meinung von dem Anerbieten haben, das ich für Ihren Wert nicht zu schlecht halte. – Ich weiß, er hat sich einiger Vergehungen schuldig gemacht; aber im Grunde hat er ein außerordentlich gutes Herz! Glauben Sie mir es, liebes Fräulein, das hat er.« Hier schwieg er und schien eine Antwort zu erwarten, welche er auch so bald von Sophie erhielt, als sie sich ein wenig von der heftigen Wallung erholt hatte, die ihr eine so sonderbare und unerwartete Nachricht verursacht hatte. »Herr Alwerth, ich wünsche Ihnen aufrichtigst Glück zu einer Entdeckung, die Ihnen eine so große Freude zu machen scheint. Ich zweifle nicht, sie wird Ihnen all das Vergnügen gewähren, das Sie sich nur davon versprechen können. Der junge Herr hat gewiß tausend gute Eigenschaften, welche es unmöglich machen, daß er sich gegen einen solchen Onkel nicht gut betragen sollte.« – »Ich hoffe, mein liebes Fräulein«, sagte Alwerth, »er hat diejenigen guten Eigenschaften, welche ihn zu einem guten Ehemanne machen müssen. – Er müßte sonst gewiß der sittenloseste von allen Männern sein, wofern er, wenn ein
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