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Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition)

Titel: Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Fielding
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gleich, oder vielmehr, ob die Geschichte [134] gleich einige Jahre vor der Periode zutraf, bis zu welcher wir mit unsrer Geschichtserzählung fortgerückt sind.

Fünftes Kapitel.
    Enthält Materien, die für jedermanns Geschmack zugerichtet sind.
     
    Parva leves capiunt animos;
»Leichter Sinn ist leicht gefangen;« war der Spruch eines großen Meisters in der Leidenschaft der Liebe. Und gewiß ist es, daß von diesem Tage an Sophie anfing, einige kleine Gewogenheit für den Tom Jones und eine nicht kleine Abneigung gegen seinen Schulkameraden zu empfinden. Verschiedene Zufälle verstärkten von Zeit zu Zeit diese Leidenschaften in ihrer Brust; welches der Leser eben auch ohne unsre Erzählung aus demjenigen schließen wird, was wir uns über die Verschiedenheit der Gemütsarten dieser Knaben, und wie sehr die eine mehr als die andre mit ihrer eignen übereinstimmte, haben merken lassen. Die Wahrheit zu sagen, so hatte Sophie, noch als sie sehr jung, bereits ausfindig gemacht, daß, obgleich Tom ein lockerer, windiger, tobender Zeisig wäre, er doch keines Menschen als nur sein eigner Feind sei. Und daß der Junker Blifil, obgleich ein kluger, vorsichtiger, stiller Jüngling, doch nur dem Vorteile einer einzigen Person auf stärkste ergeben wäre; und wer diese einzige Person war, das wird der Leser auch wohl ohne unsern Beistand erraten.
    Diese beiden Charaktere werden in der Welt nicht allemal mit der verschiedenen Achtung aufgenommen, welche ein jeder besonders für sich zu verdienen scheint, und welche, wie man glauben sollte, ihnen die Menschen aus Selbstinteresse widerfahren lassen müßten. Doch ist dazu vielleicht eine politische Ursache vorhanden: Die Menschen, wenn sie ein wahrhaft wohlthätiggesinntes Gemüt finden, so mögen sie wohl ganz vernünftigerweise denken: sie haben einen Schatz gefunden, den sie gern für sich behalten wollen, sowie alles übrige Gute, was sie besitzen. Daher mögen sie sich einbilden, das Lob einer solchen Person auszuposaunen, würde ungefähr ebensoviel heißen, als die gemeine Aufschrift auf einem Schilde: »Hier speist man nach Belieben,« und so gut, als Teilnehmer an einem Gute herbeizurufen, welches sie zu ihrem alleinigen Gebrauche aufbewahren wollen. Wenn dieser Grund dem Leser kein Genüge leistet, so weiß ich mir wenigstens die geringe Achtung auf keine andre Weise zu erklären, welche ich gewöhnlicherweise einem Charakter erzeigen [135] gesehen habe, welcher der menschlichen Natur wirklich große Ehre macht und der bürgerlichen Gesellschaft so unendlichen Nutzen bringt. Mit Sophien war es indessen ganz anders. Sie hatte viel Hochachtung für Tom Jones und eine herzliche Verachtung für Blifil, sobald als sie nur mit diesen beiden Worten einen Begriff zu verbinden gelernt hatte.
    Sophie war beinahe drei Jahre mit ihrer Tante abwesend gewesen, während welcher Zeit sie keinen von beiden Jünglingen anders, als nur sehr selten, gesehen hatte. Unterdessen aß sie eines Tages mit ihrer Tante in Herrn Alwerths Hause zu Mittage. Dies war einige Tage nach der bereits erwähnten Geschichte mit dem geschossenen Feldhuhn. Sophie hörte die ganze Geschichte bei Tische, wo sie kein Wort sagte; auch konnte sogar ihre Tante nur wenige Worte aus ihr herausbringen, als sie wieder nach Hause fuhren. Als aber ihr Kammermädchen beim Auskleiden von ungefähr zu ihr sagte: »Nun, Fräulein! heute hab'n Sie doch Junker Blifil gesehen?« antwortete sie ganz ärgerlich: »Ich hasse den Namen Blifil so wie alles, was niederträchtig und verräterisch ist; und ich wundre mich, wie Herr Alwerth leiden kann, daß ein alter barbarischer Schulmeister einen jungen Menschen dergestalt um etwas züchtigen darf, was doch bloß die Wirkung seines guten Herzens war.« Sie erzählte hierauf ihrer Jungfer die ganze Geschichte und schloß mit den Worten: »Was meint Sie, ist es nicht ein Junge von recht edlem Gemüte?«
    Dies junge Frauenzimmer war nunmehr bei ihrem Vater wieder einheimisch geworden, welcher ihr die Führung seines Hauses anvertraute und ihr die oberste Stelle an seinem Tische anwies, an welchem Tom Jones (der durch seine große Liebe zum Jagen ein großer Liebling des Junkers geworden war) manche Mahlzeit einnahm. Junge Leute von einem offnen freien Gemüte sind von Natur zur Galanterie geneigt, die sich, wenn sie einen richtigen Verstand besitzen, wie bei Tom Jones wirklich der Fall war, durch ein gefälliges, verbindliches Betragen gegen das ganze weibliche Geschlecht überhaupt

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