Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
als Thorne ihn zum ersten Mal mit dieser Frage bedrängt hatte. Und er wiederholte mehr oder weniger die einzige Antwort, die er darauf zu geben bereit schien.
»Alles ist möglich, nehme ich an. Falls einer von uns beiden für das, was mit Karen geschah, verantwortlich war, dann ich …«
»Erzählen Sie mir, warum.«
Palmer beugte sich vor, und einen Augenblick schien es, er würde vornüberfallen, doch in letzter Sekunde tat er einen riesigen Schritt nach vorn, und der Schwung hielt ihn aufrecht. Thorne sah ihm ein, zwei Sekunden zu, wie er ging, und überlegte. War es etwas in Bezug auf Karen, worüber Palmer nicht reden wollte? Oder war es etwas anderes? Etwas über Nicklin, das er für sich behielt?
Thorne ging ihm nach, folgte dem Pfad, den Palmer geräuschvoll entlangtrampelte. Die rostbraunen Quecken vom Wind gepeitscht und tropfnass. Scharf genug, um in die Haut zu schneiden. Der Boden selbst schlammig. Bei jedem Schritt quoll braunes Wasser hervor und lief in Thornes Stiefel.
»Manchmal unterhalte ich mich mit ihr«, erklärte Palmer unvermittelt. »Ich weiß, das klingt bescheuert.«
Das fand Thorne nicht. Er hatte sich selbst im Lauf der Jahre an mehreren Gesprächen mit den Toten erfreut, nein, sie über sich ergehen lassen.
»Worüber reden Sie mit ihr?«
»Inzwischen nicht mehr so häufig wie früher. Ich hab ihr erzählt, was ich getan hatte.«
»Sie beichteten ihr?«
Weiter vorne brummte Palmer: »Sie wusste natürlich ohnehin Bescheid.«
»Hat sie Ihnen vergeben?«
»Man konnte sich nie sicher sein, was Karen dachte. Ich glaube, die meiste Zeit wusste das nicht einmal Stuart …«
Palmers Abstand zu Thorne vergrößerte sich. Er bog scharf nach links ab, weg vom Bahndamm, der steil nach oben zu den neuen Sozialbauten führte, und ging zu dem sanfter ansteigenden Hang gegenüber. Oben trennte ein hoher Metallzaun dieses verwilderte Stück Land von einem herausgeputzten neuen Industriegelände. Thorne sah hoch zu dem Bahndamm rechts. Die Beamten verfolgten noch immer jede ihrer Bewegungen, und zwei kletterten vorsichtig den rutschigen Damm herunter.
»Sie wusste natürlich die ganze Zeit über, was ich dachte. Die ganze Zeit …« Er sagte noch etwas. Thorne versuchte es zu verstehen, doch die Worte wurden vom Wind übertönt.
Palmer beschleunigte sein Tempo, und der Abstand zwischen ihm und Thorne wuchs mit jedem Schritt. Thorne begann, etwas schneller zu gehen, aber inzwischen hatten sie das Gras hinter sich gelassen und ein Gelände erreicht, wo das Durchkommen zumindest für ihn weitaus schwieriger wurde. Zwar war der Boden hier trockener, doch das Unterholz war dichter. Er konnte die Beine nicht hoch genug heben, um über die riesigen Büsche aus Farn und dornigem Gestrüpp zu steigen. Er stolperte durch Unmengen kahler Brombeersträucher, über eine Ansammlung verdorrter Disteln. Er fluchte, als er mit der Hand an etwas Scharfem hängen blieb. Und als er das Blut weglutschte, verlor er für ein, zwei Sekunden Palmer aus den Augen. Er blickte sich rasch um, gerade rechtzeitig, um etwa hundert Meter entfernt einen Polizisten auf dem Hintern den Abhang herunterrutschen zu sehen. Er wollte ihn gerade rufen, als er Palmers Stimme hörte …
»Das kommt daher, weil ich sie liebte. Ich habe sie immer geliebt …«
Thorne wischte die herunterhängenden Ranken eines verdorrten Brombeerstrauchs zur Seite und sah ihn zehn Meter entfernt stehen. Thorne war außer Atem und kam sich mit einem Mal sehr dumm vor. Dort vorne stand Palmer unbewegt. Warum zum Teufel hatte er sich solche Sorgen gemacht?
Er folgte Palmers Spuren durch das kniehohe dürre Farnkraut, bis er neben ihm stand.
»War Karen die einzige Frau, die Sie je liebten?«
»Ja. Die einzige Frau.« Er wandte sich zu Thorne um und lächelte traurig, wie ein Idiot. »Stuart habe ich natürlich immer geliebt.«
Palmer hob die Hände, die in den Handschellen steckten, und deutete, so gut er konnte, zu den knorrigen Wurzeln einer traurig aussehenden Eiche, die ein paar Meter entfernt stand.
»Hier ist es. Hier hab ich mal einen kleinen Vogel gefunden.« Er drehte sich um und begann sich aufgeregt umzublicken. »Die Schuppen, in denen wir uns herumtrieben, waren dort drüben. Stuarts Haus war da oben.« Er nickte Thorne zu. »Hierher kamen wir immer, wir drei. Hier habe ich Karen zum letzten Mal gesehen.«
Thorne wandte sich um. Nach ein paar Sekunden erkannte er Dave Holland oben auf dem Damm, der mit zwei Polizisten plauderte und
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