Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Zeit, um sich um psychologische Feinheiten zu kümmern. Na ja, natürlich haben sie jede Menge Zeit, aber sie lassen sich nun mal nicht gern verarschen. Sie ziehen ihre Schlussfolgerungen.«
Palmer hob das Handgelenk, Hollands Handgelenk folgte der Bewegung, und kratzte sich mit dem Daumennagel am Kopf. »Es wäre wohl dumm, darum zu bitten, dass jemand sie aufklärt, ihnen die Wahrheit sagt.«
»Sehr dumm. Es wird nur schlimmer statt besser. Sie hätten zwei Gründe, Sie zu hassen.«
»Was …?«
»Zwei Gründe, Ihr Gesicht in ein Waschbecken zu drücken. Sie eine Treppe runterzustoßen oder etwas in der Werkstatt mitgehen zu lassen, um es in Ihren Bauch zu rammen, während Sie an der Essensausgabe stehen. Verstehen Sie mich nicht falsch, diese Leute haben einen Moralkodex, es ist nur kein normaler Moralkodex.« Thorne fing Palmers Blick im Spiegel auf und hielt ihm stand. »Sie hassen Männer, die Frauen wehtun, oder sie geben vor, sie zu hassen, ziemlich egal, wie rum. Und wenn Sie Glück haben, pissen sie nur in Ihren Tee. Aber falls es wirklich etwas gibt, was sie noch mehr hassen, ist es ein Denunziant. Mit Ihnen bekommen sie zwei Hassobjekte zum Preis von einem.«
Langsam tauchte in dem Spiegel ein klares Bild von dem Vectra auf, während Palmers Kopf nach unten fiel und er auf seinem Platz zusammensank. So zufrieden er mit seiner kleinen Rede war, kam Thorne nicht umhin, sich wie ein Erwachsener zu fühlen, der mit einem kleinen Kind gespielt und sich geweigert hatte, es gewinnen zu lassen.
Zehn Minuten später kam Thorne zu einer Abzweigung. Der Vectra fuhr neben ihn, die vier Polizisten tauschten Blicke aus, und beide Autos warteten auf eine Verkehrslücke, um abzubiegen. Einen halben Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der Straße, jenseits der weiten Fläche zurückeroberten Salzsumpfs, befand sich das Gefängnis. Das lang gestreckte Lagerhaus …
Cons R Us. Kingdom of Killers.
Der Fahrer des Begleitwagens gab Thorne das Okay-Zeichen – Daumen nach oben – und bog in den Verkehrsstrom, der zurück in die Stadt fuhr. Thorne überquerte die Straße und fuhr langsam zum Gefängnishaupteingang; er spürte die ersten Anzeichen heraufziehender Kopfschmerzen hinter seinen Augen.
Er sah auf die Uhr auf seinem Armaturenbrett, als er die Auffahrt zur Schranke hinaufrollte. Es war kurz nach halb zwei. Er begann darüber nachzudenken, wo er in weniger als einer Stunde erwartet wurde.
Der Tag würde nicht besser werden.
Zwanzigstes Kapitel
Falls Thorne ein Kompliment wegen seiner schönen Singstimme bekam, war die Chance groß, dass sein Gegenüber Schwarz trug …
Er hatte eine gute Stimme, überraschend hoch und hell für jemanden, der so aussah und sprach wie er. In der Regel war niemand darauf gefasst, der sie das erste Mal hörte. Während er sang, fiel ihm wie üblich bei diesen Gelegenheiten auf, dass er – wie die meisten Menschen – tatsächlich nur bei solchen Anlässen sang: bei Hochzeiten oder, in seinem Fall wahrscheinlicher, bei Beerdigungen.
Als sie mit dem Lied »The Lord Is My Shepherd« fertig waren, das sie mehr oder weniger zusammen gesungen hatten, setzten sie sich. Brian Marsden, der Direktor, trat ans Pult, und Thorne ließ den Blick über die Menge schweifen.
Es war eine große Trauergemeinde. Vielleicht fünfundsechzig oder siebzig Leute. Die Mehrheit waren Freunde und Kollegen. Mehrere Generationen von Lehrern und ehemaligen Schülern waren anwesend, aber eine ganze Reihe derer, die füßescharrend dem Toten die letzte Ehre erwiesen, war dienstlich hier.
Im Raum befanden sich mehr Polizisten als Familienangehörige.
Thorne und McEvoy waren hier, sie vertraten das Team. Malcolm Jay, der Detective Sergeant aus Harrow, war in der Kirche, sowie Derek Lickwood. Steve Norman musste irgendwo sein, um mit nicht gebetenen Journalisten zu klüngeln, die es vielleicht darauf abgesehen hatten, ein paar Worte trauernder Hinterbliebener zu erhaschen.
Die Trauergemeinde selbst wurde genau überwacht für den Fall, der Mörder habe beschlossen, hier aufzutauchen und Erde auf den Sarg seines Opfers zu werfen. Er wäre nicht der Erste, doch wie stets hielt Thorne es für unwahrscheinlich, dass er oder jemand anders in der Lage wäre, ihn in der Menge auszumachen, wenn er sich denn zeigte. Er wäre wohl kaum der Typ, sich in knallbunten Farben zu kleiden oder während der Trauerrede vor sich hin zu kichern. Ebenso unwahrscheinlich war, dass er sich verschlagen umblicken oder nervös
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