Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
grinste, als sie aneinander vorbeiliefen, sie lächelte zurück.
Vor der Tür blieb er stehen und sammelte sich. Die Tasche stellte er geräuschlos neben seinen Füßen ab und streifte sich, ständig nach links und rechts blickend, die Handschuhe über. Es war wichtig, möglichst nahe an der Tür zu stehen, um das Gesicht ganz dicht vor den Türspion zu bringen. Zwar war die Kleidung ohnehin ausreichend zweckmäßig, doch wenn man so nahe dran war, war nichts zu sehen außer dem lächelnden Gesicht, das unbeteiligt und pfeifend zur Seite blickte.
Jason atmete ein paar Mal sehr schnell ein und aus, bevor er klopfte. Es gab ihm einen zusätzlichen Kick, dass seine Handflächen in den Handschuhen vollkommen trocken waren. Er wurde langsam richtig gut.
Im Zimmer waren Schritte zu hören. Er spannte sich an, war bereit. Das Überraschungsmoment gab den Ausschlag. Sie waren immer absolut verblüfft. Es war stets der gleiche Gesichtsausdruck. Sie hatten sich sicher gefühlt.
»Wer ist da?«
»Hoteltechnik, Sir. Ein Problem mit Ihren Heizkörpern …«
Als die Tür aufging, in der halben Sekunde, bevor er zuschlug, entging Jason kein wesentliches Detail.
Typ im Anzug, um die dreißig, wegen der Konferenz hier, so wie das Mädchen gesagt hatte … durchschnittlich groß … wirkt fit, aber das spielte keine Rolle … wahrscheinlich voll von sich überzeugt, aber wenn es so weit war, würde er wie ein Baby flennen … der Ausdruck auf seinem Gesicht, der Schock, die viel zu späte Erkenntnis, dass etwas nicht stimmte … eine Frau, die Ehefrau oder Freundin, hinter ihm, auf der Bettkante sitzend …
Er hob beide Hände und stieß dem Mann im Anzug kräftig gegen den Brustkorb, warf ihn zu Boden. Drängte sich sogleich ins Zimmer, nahm die Tasche mit und schloss mit einer knappen, sauberen Bewegung die Tür hinter sich. Und der Mann im Anzug war auf Händen und Füßen und stöhnte, und als Jason vortrat, um dem Arsch in den Bauch zu treten, sah er, wie die Frau von der Bettkante hochsprang, richtiggehend in die Luft sprang, genau wie die alte Holländerin.
Sie sprang in die Luft und schrie …
McEvoy schrie.
Der Schrei einer erschrockenen Ehefrau. Der Schrei einer guten Polizistin, die ihren Kollegen das Einsatzsignal gab.
Thorne trat schnell aus seinem Versteck hinter dem Vorsprung eines eingebauten Kleiderschranks hervor. Er sah den Ausdruck plötzlicher Panik auf dem Gesicht des Verdächtigen, sah, wie die Panik wuchs, als er sich umdrehte, nach einer Fluchtmöglichkeit suchte, nur um zwei weitere Männer aus dem Badezimmer hinter sich herausstürmen zu sehen.
Keine fünf Sekunden sollten vergehen zwischen dem Augenblick, als Thorne die Szene betrat, und dem Moment, als er dabei war, auf den Mann am Boden zu blicken und sich darüber zu wundern, dass er nicht auf ihn einprügelte, bis er das Bewusstsein verlor.
Als Thorne auf ihn zuging, versuchte der Verdächtige zu fliehen. Aber Holland hatte sich rasch hochgerappelt, packte ihn an den Hüften und schob ihn ins Zimmer. McEvoy machte den Platz frei, und Holland und der Verdächtige krachten auf die Bettkante. Thorne und Maxwell waren direkt hinter ihnen, und zusammen hoben sie den Verdächtigen vom Boden und warfen ihn über das Bett gegen die gegenüberliegende Wand.
Bevor der Verdächtige auf den Teppich knallte, ging Thorne um das Bett herum, um nach ihm zu sehen.
Geladen.
Bereit, dieses Gesicht zu bearbeiten.
Das Gesicht, das nicht unter einer Sturmmütze verborgen war, weil der Arsch nicht plante, jemanden am Leben zu lassen, der ihn identifizieren könnte. Die Tasche über dem Arm – die Tasche, in der das Messer und das Klebeband und Gott weiß was noch steckten …
Thorne dachte an das letzte Mal, als er in einem Hotelzimmer gewesen war. Er dachte an die Leichen im Bad und auf dem Bett. Spürte das Verlangen, loszuschlagen und zu treten und seinen Frust zumindest ein wenig abzubauen. Ein paar Handbreit hinter ihm gingen Maxwell und Holland, die ihm seine Gedanken am Gesicht abgelesen hatten, blitzschnell in Habacht-Stellung.
Was gar nicht nötig gewesen wäre.
Thorne entdeckte so etwas wie Erstaunen auf dem Gesicht des Mannes, der zusammengekrümmt auf dem Boden zwischen Bett und Wand lag. In dem Handgemenge war ihm die Hose bis zu den Oberschenkeln gerutscht und eine graue Unterhose wurde sichtbar. Auf der Stirn prangte ein roter Kratzer. Die Haare waren mit Gel auf seinen Kopf geklatscht wie fette Spinnenbeine. Darunter ein schmales,
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