Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
gab.
Jetzt waren nur noch Vater und Sohn da, und der alte Herr schien es darauf anzulegen, dass man ihm um den Bart ging. Er hatte eine Schwester in Brighton, deren Name das ganze Jahr nicht fiel und plötzlich im Gespräch aufzutauchen pflegte, wenn der erste weihnachtliche Werbespot von Woolworth im Fernsehen lief. Thorne kannte die »Ich weiß, du hast viel um die Ohren, machen wir kein großes Trara draus«-Nummer seines Vaters inzwischen auswendig. Sie kam einmal im Jahr, so wie der Weihnachtsmann, und an den glaubte Thorne schon lange nicht mehr. Sicher, er könnte zu Eileen gehen … wäre vielleicht für alle Beteiligten einfacher … er wollte niemandem Scherereien machen … er versprach ihm, ihm Bescheid zu geben, sobald er wusste, was er tun wollte …
Thorne war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass der alte Kerl ganz genau wusste, was er tat.
Als die zwei Dosen von Sainsbury’s bestem belgischem Bier die feinsten Kaschmirköstlichkeiten hinuntergespült hatten, war Thornes Wut auf seinen Vater verflogen. Es war Zeit zu sehen, was McEvoy und Holland herausgefunden hatten.
Holland berichtete Thorne, er habe Margie Knights Beschreibung mit Michael Murrell durchgesprochen. Und obwohl sie Ähnlichkeiten aufwiesen, hatte Murrell darauf bestanden, der Mann, den er gesehen habe, habe eine Brille getragen. »In Ordnung, dann bringen wir Knight und Murrell eben an einen Tisch«, sagte Thorne. »Damit wir zu Potte kommen.«
McEvoy bestätigte, dass man Lyn Gibsons Geschichte überprüfen sollte. Da war was gewesen mit einem Kollegen aus Jane Lovells Büro, was es wert schien, genauer untersucht zu werden. Warum sollte nicht wenigstens einer der Mörder mit einem Opfer aus seinem Umfeld angefangen haben? Mit jemandem, den er kannte? Thorne war genau das Gleiche durch den Kopf gegangen, und trotz Lickwoods Bemerkung, das sei die reinste Zeitverschwendung, hatte er bereits beschlossen, sich darum zu kümmern. Er hätte es ohnehin getan, ganz unabhängig davon, was Detective Sergeant McEvoy von Lyn Gibson hielt. Allein um Derek Lickwood zu ärgern. Wenn er ihm schon keine scheuern konnte, dann wollte er ihm wenigstens ans Bein pinkeln.
Während er mit McEvoy telefonierte, sammelte Thorne die Takeaway-Kartons vom Boden auf. Elvis, seine Katze, schmiegte sich miauend an seine Beine. Er hatte sie, samt dem bescheuerten Namen, vor einem Jahr unter unerfreulichen Umständen geerbt während der Jagd nach dem »Sandmann«-Mörder. Elvis war eine nervöse Mieze, was ihrem Appetit jedoch nicht zu schaden schien.
Thorne trug den Müll in die Küche. Nicht, dass er seine Wohnung besonders mochte, aber wenigstens war sie einigermaßen ordentlich. Meistens.
Er schmiss die Reste seines Abendessens in den Mülleimer und dachte, wie nett es wäre, eine Frau sagen zu hören, wie sauber seine Wohnung sei.
Sarah McEvoy verabschiedete sich von Thorne mit der Bemerkung, man sehe sich morgen, und schaltete ihr Handy aus. Sie lächelte Dave Holland zu, der vor weniger als zwei Minuten genau das Gleiche gesagt und getan hatte.
Die Glocke läutete die letzte Bestellrunde ein. Holland sah zuerst auf die Uhr und dann zu McEvoy. Sie nickte und zog sich eine Zigarette heraus, während er ihre leeren Gläser nahm und sich durch die Gäste zum Tresen kämpfte.
Thorne saß auf seiner Couch und grübelte über den Tag nach. Ihn hinderten keine dicht stehenden Menschenmassen am Trinken.
Es war einer dieser Tage gewesen, an dem die Sirenen heulten und heulten, so dass dieses Geräusch für ihn beinahe spürbar wurde, in seinen Körper überging, und er nicht mehr in der Lage war, eine Richtung zu bestimmen. Vielleicht war ein schreckliches Unglück passiert. Ein Zugunglück. Ein Brand in einer U-Bahn-Station. Oder vielleicht war es nur ein ganz normaler Tag in einer Stadt, die Thorne liebte und hasste, wobei sich seine Liebe und sein Hass stets die Waage hielten.
Polizeiautos, Krankenwagen, die sich ihren Weg durch die Straßen der Hauptstadt erkreischten.
Der Sound von London.
Thorne starrte auf den Fernsehschirm. Die aufdringlichen und unruhigen Bilder berührten ihn nicht im Geringsten. Halb eins, und das Programm schien aus spärlich bekleideten Frauen zu bestehen, die auf der Straße auf völlig Fremde einbrüllten. Das hatte nichts mit Thorne zu tun. Nur ein Gesicht kam ihm vage vertraut vor. Ein müdes, graues Gesicht, auf das er einen Blick erhaschte, wie es hinter dem staubigen Bildschirm schwebte, in den wenigen
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