Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
lebhafter. Aufgeregt berichtete sie von einem Mann, von dem ihre Freundin ihr erzählt habe, er belästige sie. Jane hatte zugegeben, sie habe ein wenig mit ihm geflirtet, ihn vielleicht etwas an der Nase herumgeführt, aber sie habe ihn nur necken wollen. Er habe sie nie wirklich interessiert.
»Doch irgendetwas an ihm machte ihr zu schaffen. Sie konnte nie genau sagen, was. Und als ich mehr darüber wissen wollte, ließ sie die Schotten runter. Als wäre es ihr nicht ganz geheuer. Sie hat mir nicht mal gesagt, wie der Typ heißt. Aber Sie sollten versuchen, mehr darüber herauszufinden. Mir ist klar, dass dieser Wichser Lickwood dachte, ich sei nicht ganz dicht, aber ich kannte Jane. Verstehen Sie …?«
McEvoy war beeindruckt. Diese Frau war wütend, aber soweit McEvoy es beurteilen konnte, ging es ihr nicht um etwaige persönliche Interessen. Mit einem dröhnenden, kehligen Lachen steckte sich Lyn Gibson die nächste Zigarette an. Doch McEvoy sah, dass sich die Flamme in den Tränen spiegelte, die sich zu dicken Tropfen sammelten.
»Ich hab ihr gesagt, sie solle mit mir kommen und bei mir schlafen, verstehen Sie. Die dumme Kuh hing zu sehr an ihrem Bett.« Wieder lachte sie, und das Lachen ging in ein Husten über. Sie zog kräftig an der Zigarette und drückte ihren Handballen gegen ein Auge. »Und jetzt sag ich Ihnen, was wirklich blöd ist. Der Film, den wir uns an diesem Abend angesehen haben, war Scheiße. Ein richtiger Scheißfilm …«
Es war merkwürdig, wie so etwas Simples wie die Weihnachtsbeleuchtung in Kentish Town Thornes Stimmung heben konnte. Sie reichte lange nicht heran an das grelle Spektakel in der Oxford Street oder in Brent Cross, es waren nur ein paar Kabel mit weißen Glühbirnen, die die Hauptstraße überspannten. Aber er fand sie auf eine bizarre Weise erbaulich nach zwei Stunden in der Gesellschaft von Derek Lickwood.
Thorne mochte Weihnachten. Er fand es nicht mehr so aufregend wie als Kind, aber wer tat das schon? Er war ein Einzelkind, und es war immer etwas Besonderes gewesen. Jetzt konnte er leicht zynisch werden, wenn kurz nach Ostern die Weihnachtsdekoration hervorgeholt wurde, und sich darüber das Maul zerreißen, wie viel Geld ausgegeben wurde. Dennoch hoffte er stets, es möge eine weiße Weihnacht geben. Und wenn er einen Kinderchor In The Bleak Midwinter singen hörte, stiegen ihm Tränen in die Augen.
Dieser Anflug einer jahreszeitbedingten Hochstimmung bekam mehr als einen Tritt gegen das Schienbein, als Thorne zu Hause ankam und seine Post öffnete, nur um feststellen zu müssen, dass die bislang einzige Weihnachtskarte, die er bekommen hatte, von Bengal Lancer stammte, die ihm für ein weiteres Jahr dankten, in denen er Kunde bei ihnen war. Dieser Moment schien genauso geeignet wie jeder andere, um sich bei ihnen für diese Karte plus Kalender zu bedanken, indem er anrief und sich etwas zu essen nach Hause bestellte.
Auf dem Weg zum Telefon bemerkte Thorne das Blinken des Anrufbeantworters. Er drückte auf Play und ein paar Sekunden später die Stopptaste, als er die Stimme seines Vaters vernahm. Die Nachricht selbst war mit ziemlicher Sicherheit unwichtig, nur der letzte in einer langen Reihe kaum verhüllter Vorwürfe, weil er nicht anrief.
Thorne nahm es sich zu Herzen und rief an.
Seit dem Tod seiner Mutter vor zweieinhalb Jahren war die Beziehung zwischen Tom und Jim Thorne immer mehr durch die absurde und beinahe pathologische Begeisterung seines Vaters für sinnlose Quizfragen und dämliche Witze bestimmt worden sowie durch die wilde Entschlossenheit des Sohnes, die Schuld auf sich zu nehmen, dass sie mehr trennte als die fünfundzwanzig Meilen zwischen North London und St. Albans.
Gezwungenes Lachen und ständige Schuldgefühle.
Normalerweise kam zuerst der Witz. »Tom, worauf steht E. T.?«
»Erzähl schon, Dad …«
»Auf kurzen Beinen.«
Dann kam die Schuld. Heute in der Form der jährlichen Frage, wo Thornes Vater Weihnachten feiern sollte. Die letzten zwei hatte er mit Thorne in London verbracht, und die paar zuvor auch, als sie noch zu dritt waren. Die Zeiten, als sie noch vier waren, um sich gegenseitig Socken und Parfüm zu schenken und trocknen Truthahn zu essen, sich über die Ansprache der Queen zu streiten und dann vor Gesprengte Ketten einzuschlafen, schienen ewig zurückzuliegen. Die Zeiten vor Schlaganfällen und Krankenhausbesuchen und einem Kummer, der die Menschen für immer verändert.
Die Zeiten, bevor es Affären
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