Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
soweit er sich erinnern konnte, kaum ein böses Wort gefallen.
Ja, es gefiel ihm, sein Leben mit Caroline zu teilen. Einen Großteil seines Lebens.
Sie fragte ihn nie aus, wenn er spät nach Hause kam, mal von zu Hause weg war oder sich im Schlafzimmer desinteressiert zeigte. Vielleicht hatte sie sich zu der Überzeugung durchgerungen, er habe eine Affäre. Falls dem so war, sollte es ihm recht sein.
Natürlich suchte er nach einem Kick, das hatte er immer getan. Aber das, was er suchte, hätte er nie in einem Seitensprung gefunden, in den Armen irgendeiner jungen Tussi. Er brauchte einen Treffer, einen Knüller, ein High. Er brauchte etwas Tieferes, länger Anhaltendes, als ihm ein simpler Ehebruch geben könnte.
Letzten Endes hatte er immer bekommen, was er wollte. Eigentlich war es überraschend einfach. Er war stets vorsichtig – fuhr weit, wiederholte sich nie, ging nie ein Risiko ein. Doch nun begann es ihn, wenn er ehrlich war, ein wenig zu langweilen.
Er fragte sich, ob sich alles wiederholte. Hatte es ihn vor genau zehn Jahren nicht auch gelangweilt, wer er war? Damals hatte er die Entscheidung getroffen, neu anzufangen, alles zu ändern, ein anderer zu werden. Er war glücklich mit dem, was er aus sich gemacht hatte. Doch aus dem, was er zu seinem Vergnügen trieb, zog er immer weniger Kicks. Er hatte sich zu schnell an diese Droge gewöhnt, und das war inakzeptabel. Das musste sich ändern.
Glücklich mit dem, was er aus sich gemacht hatte …
Es klopfte an die Tür, und ein Kollege steckte den Kopf herein, blass und schwitzend, um ihn zu erinnern, dass man auf ihn warte.
Er zog das Sakko von der Lehne und schlüpfte hinein.
Griff nach seiner Brieftasche auf dem Schreibtisch und steckte das kleine Foto wieder hinein.
Er starrte auf die Kreditkarten, auf denen sein Name stand. Natürlich nicht sein richtiger Name, sondern der Name, unter dem man ihn seit mehr als zehn Jahren kannte. Sein wirklicher Name gehörte zu jemandem, den er zuletzt in einer Wohnung im ersten Stock eines Mietshauses in Soho gesehen hatte. Vor langer Zeit. Liefe er jetzt die Straße entlang und hörte jemanden seinen alten Namen rufen, hörte diese zwei Silben, dann wüsste er, dass ihn diese Person nicht kannte. Jemand, mit dem er in die Schule gegangen war …
Er blickte auf seine Uhr. Spät für eine Konferenz. Seine Gedanken rasten vorwärts und rückwärts. Er erinnerte sich an die Vergangenheit, malte sich die Zukunft aus …
Augenblicke später marschierte er ausholenden Schrittes den Korridor hinunter. Ein zweites Mal griff er nach seiner Brieftasche. Lächelnd nahm er noch einmal das Foto heraus und betrachtete die zwei jungen Gesichter.
Fünfzehn Jahre war eine sehr lange Zeit.
Achtes Kapitel
Datum: 16. Dezember
Zielobjekt: weibl.
Alter: 20-30
Kontaktaufnahme: Pub, Club, Weinlokal, etc.
Tatort: wird bekannt gegeben
Methode: Handfeuerwaffe (bevorzugt ohne Schalldämpfer)
Sonntag. Thornes erster freier Tag seit beinahe zwei Wochen.
Lunch mit dem alten Herrn schien eine gute Idee zu sein. Etwas ganz anderes, eine Ablenkung, um die Zeit totzuschlagen, fetzt, da er auf der M1 zurückfuhr, wünschte er sich, er hätte es bleiben lassen. Abgesehen von allem anderen knurrte ihm der Magen. Bei seinen Eltern war hauptsächlich sein Dad fürs Kochen zuständig gewesen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er gerne zu Hause gegessen, doch sein Enthusiasmus für Dads Küche war in demselben Maße geschwunden, wie die Begeisterung seines Vaters für Nichtigkeiten und abgestandene Witze explodiert war.
Während Thorne ein Stück verkochtes Hühnchen und ein paar Brocken halbgares Gemüse auf seinem Teller hin und her schob, schwafelte sein Dad unentwegt, ließ sich in absurder Ausführlichkeit über jeden Furz aus. Er fragte ihn, was seiner Meinung nach die fünf meistverkauften Waschpulver wären, und amüsierte sich prächtig über zahllose Geschichten von Männern, die in den Pub gehen. Er kam kaum dazu, Luft zu holen, so lange Thorne da war, abgesehen von ein paar ungemütlichen Minuten, als sich, mitten in einer Geschichte über das blanke Nichts, seine Augen mit Tränen gefüllt hatten und er ruhig vom Tisch aufgestanden und in die Küche gegangen war, wo er die Tür hinter sich zugezogen hatte.
Thorne blieb nichts anderes übrig, als dazusitzen und sich selbst zu hassen, weil ihm der Gedanke kam, er hätte sich am Tatort eines Kapitalverbrechens wohler gefühlt.
Die große Weihnachtsdiskussion war die
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