Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
erklärte er: »Ich weiß genau, was mein Fehler ist. Ich schneide Leichen auf, hol das Hirn, das Herz und die Lunge heraus …«
Thorne verstand sofort, was Sache war. Dieses Gespräch führten sie nicht zum ersten Mal. »Genau. Wieder einer, der mit deiner Berufswahl nicht einverstanden war?«
»Hat kein Wort darüber verloren, aber es war offensichtlich. Es war noch nie einfach, doch seit Anfang diesen Jahres ist es, als ob man den Leuten erzählt, man sei ein Terrorist oder ein Mörder oder so was …«
Anfang des Jahres hatte ein Skandal über die Entfernung von inneren Organen aus Kinderleichen die Organspende – und die Pathologie im Besonderen – in Misskredit gebracht. Die Hysterie hatte sich mittlerweile gelegt, doch der Schaden war geschehen. Die Organspenden waren dramatisch zurückgegangen. Und Pathologen hatten Probleme, neue Freundschaften zu schließen.
»Ich sage den Leuten, was ich beruflich mache, und dann ist da diese Pause, verstehst du?« Thorne verstand das sehr gut. Hendricks hatte angefangen, vor sich hin zu schwadronieren, woraus Thorne schloss, dass er geraucht hatte. Kiffen war etwas, worüber sie nie redeten. Thorne hatte es jedoch oft genug gerochen. Er glaubte, sogar jetzt den Geruch in der Nase zu haben, als Hendricks’ Stimme am Telefon nur noch ein Flüstern war. »Ich frag mich … ob das, was ich tue, an mir haftet. Was meinst du?«
»Phil …«
»Nicht der Geruch, ich weiß, wie ich den loswerde … Ich meine, es haftet eher wie ein Schatten oder eine Aura an mir. Nein … eher wie unter UV-Licht, wenn man in einem Club ist, du weißt schon … so wie wenn wir Luminol benutzen … und man die ganzen Flusen und Fitzelchen auf der Kleidung sehen kann, wenn die Schuppen so glitzern … so weiß leuchten? Vielleicht ist es das … ja. Kleine Fitzelchen tauchen auf an mir, kleine Fitzelchen des Todes …«
Thorne machte sich Rühreier und aß sie an dem winzigen Küchentisch. Er dachte über seinen Vater nach. Warum fühlte sich Thorne, je mehr der alte Knacker von allen guten Geistern verlassen schien, so … befangen? Vielleicht sollte er sich ab und zu etwas Dope reinziehen. Sich den Kopf freimachen. Jan hatte immer wieder mal einen Joint geraucht. Niemals vor seinen Augen, wobei ihm das nicht wirklich etwas ausgemacht hätte. Er hatte im Prinzip nichts gegen Dope einzuwenden, es wurde noch immer viel zu viel Zeit und Mühe auf seine Kriminalisierung verschwendet, aber letztlich war es einfach nichts für ihn. Ihm fiel stets etwas ein, wofür er sein Geld lieber ausgab. Bier zum Beispiel oder Wein …
Plötzlich sah er Jan und den Dozenten vor sich, den sie hinter seinem Rücken poppte, wie sie beide sich im Bett aneinander kuschelten, kicherten, Räucherstäbchen anzündeten. Er öffnete eine Flasche, eine andere Droge, und nahm sie mit ins Wohnzimmer.
Er gab es auf, im Fernsehprogramm nach Ablenkung zu suchen, und saß einfach da, ließ sich durch den Kopf gehen, was Hendricks gesagt hatte. Ließ seine Gedanken zurückschweifen und dachte über die Zukunft nach. Über erstochene Mordopfer und über erwürgte. Dachte an zwei Särge aus Karton im Laderaum des Flugzeugs mit dem Ziel Amsterdam …
Konnten sich die, deren Geschäft der Tod war, je davon befreien?
Er stand auf und ging hinüber zur Stereoanlage. Seine Finger glitten über die Reihe mit CDs und blieben kurz an einem Boxed Set von Johnny Cash hängen. Das hatte er sich vor einem Jahr geleistet, ein Set mit drei CDs, von denen jede Lieder über ein bestimmtes Thema enthielt. God, Love, Murder. Sosehr er Johnny Cash liebte, Thorne hatte eine davon noch nie gehört.
Später, als er wach im Bett lag, das Licht aus- und das Radio eingeschaltet, ging ihm Hendricks’ Genuschel nicht aus dem Kopf. Es war das typische Dopegeschwätz. Paranoia und Selbstmitleid. Es waren banale Klischees, die als Philosophie daherkamen.
Es ließ ihn nicht los.
Seine letzte Beziehung lag über ein Jahr zurück. Und nichts deutete auf eine neue hin. Trug auch er etwas davon mit sich herum? Eine Hand voll glitzernden Todes, sichtbar für jeden, der einen Blick dafür hatte? Er stellte sich seine Jacke vor, wie sie im Dunklen über dem Küchenstuhl hing. Er schloss die Augen und sah sie vor sich, leuchtend in dem Mondlicht, das durch ein Küchenfenster fiel …
Ein paar winzige Teilchen, die auf seinem Kragen und in den Falten seiner Ärmel glitzerten. Wie bösartige Diamanten.
Karen, ich hab’s nicht getan.
Ich wünschte,
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