Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
in die Küche zu tragen, als das Telefon läutete. Jetzt setzte er sich wieder auf die Couch, klemmte die Flasche zwischen die Knie und zog den Korken wieder heraus.
»Wie geht es dir denn, Schatz?« Sie redete mit ihm, als sei er krank oder nicht ganz dicht.
Thorne war gerade dabei, sich ein Glas Wein einzuschenken, als er sich darüber klar wurde, dass er gerade nicht in der Stimmung war, sich anzuhören, was sie gleich sagen würde. Er wusste, was sie wollte, und hatte keinen Bock, so lange zu warten, bis sie darauf zu sprechen kam. Himmel, wann hatte er diese Frau zuletzt gesehen? Das war bestimmt, bevor Jan ihn verlassen hatte. Bei einer Beerdigung. Er konnte sich allerdings nicht erinnern, wessen Beerdigung es gewesen war …
»Hör mal, Tante Eileen …«
»Tut mir Leid, das mit dir und deiner Frau …«
Also schenkte er sich ein Glas Wein ein und ließ den Smalltalk über sich ergehen, wartete darauf, dass sie damit herausrückte, warum sie eigentlich angerufen hatte. Er hatte seinen Dad davor gewarnt, sie anzurufen. Der dumme alte Kerl. Jetzt würde es peinlich werden. Er begann, ihr Stichworte zu liefern, wartete darauf, dass sie endlich damit kam, wie sehr es ihr Leid tue, aber sie könne Jim wirklich nicht über die Feiertage einladen. Ihr ganzes Haus sei voll, und sie habe kein Zimmer frei, in dem sie ihn unterbringen könne, und wenn sie sich vielleicht etwas früher gerührt hätten …
Leck mich, dachte Thorne. Wir beide kommen wunderbar ohne dich zurecht …
»Also haben wir darüber gesprochen und beschlossen, dass dein Dad dieses Jahr zu uns kommt.«
Thorne hielt das Weinglas auf halbem Weg zwischen seinen Knien und seinem Mund. Er hatte richtig gehört, wusste jedoch nicht, was er darauf antworten sollte. »Entschuldige? Aber …«
»Wenn du ihn an der Victoria Station in den Zug setzt, holen wir ihn am anderen Ende ab.«
Thorne spürte, wie er rot wurde. »Hör mal, vielleicht sollte ich zuerst mit Dad darüber reden …«
»Mach dir keine Gedanken, Schatz, das ist alles organisiert.«
»Aber du hast ein ganzes Haus voller Gäste. Du hast kein Zimmer frei …«
»Das kriegen wir schon hin. Schau, wir freuen uns, wenn er kommt, und dir täte eine Pause sicher mal ganz gut.«
Nach weiteren fünf Minuten Geplauder über dieses und jenes hörte Thorne das Anklopfsignal und ließ eine Andeutung fallen. Tante Eileen ging sofort darauf ein, erklärte, nun sei es definitiv an der Zeit für sie, ins Bett zu gehen, und wie nett es wäre, auch Thorne mal wieder zu sehen …
Thorne hatte Phil Hendricks von der Sache erzählt, bevor er sich im Klaren war, wie er selbst dazu stand. Wahrscheinlich kam Hendricks’ Einladung überstürzt, und Thorne wusste nicht, ob er sie aus Dummheit oder aus Verzweiflung annahm. Wie auch immer, zwei Tage später stand er auf dem Teppich …
Weihnachtsabend. Das fünfte Rad am Wagen sein. In einem Pub sitzen und nicht zuhören.
»Tom? Scheiße, was ist los …?«
Thorne hatte das Gefühl, mit rasender Geschwindigkeit aus einem sehr langen Tunnel herauszukommen. Gold, Silber und Rot gerieten in sein Blickfeld. Billige Dekoration, die das Licht einfing und von den nachgemachten Holzbalken herunterhing. Er blinzelte. »Tut mir Leid, Phil. Bin ich dran zum Zahlen, Kumpel?«
Hendricks starrte ihn an. »Hallo! Brendan ist da hinten und versucht, was zu holen. Du hast kein Wort mitbekommen, stimmt’s?«
Thorne leerte sein Glas. »Doch, doch, hab ich schon.«
»Aha? Was meinst du also?«
Thorne blies die Backen auf, er brauchte nur eine Sekunde oder zwei. Er begann sich an Bruchstücke der einseitigen Konversation zu erinnern. Brendan und Phil waren wieder zusammen. Ja, genau, darum ging’s. Hendricks wollte wissen, ob es eine gute Idee war, mit Mr. War-doch-kein-solches-Arschloch wieder was anzufangen.
»Was auf alle Fälle keine gute Idee ist«, sagte Thorne schließlich, »ist, mich auf deinem Sofa rumliegen zu haben wie einen Reservebräutigam bei der Hochzeit.«
Hendricks seufzte. »Das haben wir doch alles längst durchgekaut. Das ist kein Problem.«
Thorne blickte sich um. Das Lokal war proppenvoll. Bei dem Tumult und der lauten Weihnachtsmusik verstand man kaum sein eigenes Wort. Slade, Wizzard, Mud. Absolut vorhersehbar und ungemein beruhigend. Er sah zum Tresen, wo Brendan gerade das Geld für die Drinks rüberreichte. »Hast du ihn gefragt?«
»Das ist doch sonnenklar. Ich bin ja nicht bescheuert – ich weiß, er ist nur zurückgekommen,
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