Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
gemeint war) … hatten sie sich nicht eine Pause verdient, sie und ihre Familien, nach der ganzen Scheiße, die sie die restlichen einundfünfzig Wochen im Jahr über sich ergehen lassen mussten? Für Thorne war dies nur eine hypothetische Frage. Er bekam ohnehin keine Überstunden bezahlt. Ab dem Detective Inspector aufwärts wurde man mit ein paar Tausendern aufs Jahresgehalt abgefunden. Bei Fällen wie diesem zeigte sich, wie sie dabei verarscht wurden. Trotz seiner gereizten Stimmung machte Thorne niemandem zum Vorwurf, dass er müde war oder ausspannen wollte – es gab nur einen Grund, der dagegen sprach …
Mörder legten wegen Weihnachten keine Pause ein.
Selbstmord gehörte so selbstverständlich zu Weihnachten wie bestimmte Songs, die sich alljährlich um diese Zeit in den Charts breit machten. Die Verbrechensraten stiegen generell in dieser Saison und Mord machte dabei keine Ausnahme. Familiäre Streitigkeiten, bei denen Alkohol eine Rolle spielte – alles nahm zu, überall blieben Opfer zurück und die Angehörigen der Opfer, die darauf bestanden, dass diesen Fällen nachgegangen wurde. Ihnen allen war es egal, ob man den Besuch seiner Eltern erwartete, ein Cottage in den Cotswolds reserviert hatte oder ob es das erste Weihnachtsfest mit dem Kleinen war.
Vor allem, wenn ihr eigenes Kind kein Weihnachten mehr erleben würde.
Diese Gedanken lagen natürlich nahe, falls man selbst den anderen den Urlaub strich. Kein ausgetüftelter Dienstturnus, kein noch so großer Überstundenberg hätte die Einstellung des Großteils der an diesem Fall arbeitenden Polizeibeamten Thorne gegenüber im Geringsten beeinflussen können. Weder die Einstellung Brigstockes noch die McEvoys. Nicht einmal bei Dave Holland war er sich sicher. Es war einfach so, dass sie dank ihm Weihnachten damit verbringen würden, Babysitter für einen Doppelmörder zu spielen.
Palmer würde nicht vor Beginn des neuen Jahres wieder an seine Arbeitsstelle zurückkehren. Doch Sean Bracher war bestens informiert, daher gäbe es, wenn es so weit wäre, keine Probleme. Als Grund für Palmers Abwesenheit vor Weihnachten würde man eine Krankheit vorschieben. Seine Ähnlichkeit mit dem Mann, hinter dem die Polizei her war, sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden. Er hätte sich gemeldet und sei umgehend von der Verdächtigenliste gestrichen worden. Ende der Geschichte. Bracher sollte dabei helfen, diese Informationen zu verbreiten, sowie der neuen Angestellten bei Baynham & Smout den Weg zu ebnen, die sehr eng mit Martin Palmer zusammenarbeiten würde. Eine unglückliche Polizistin der Serious Crime Group (South) würde Weihnachten damit verbringen, sich durch Buchhaltung für Idioten zu arbeiten …
Palmers Zuhause ließe sich einfach überwachen. Er lebte im zweiten Stock eines Wohnblocks aus den fünfziger Jahren in West Hampstead. Es gab nur einen Eingang. Den Weg von und zur Arbeit würde er unter ständiger Überwachung zurücklegen, ein Mann sollte vor seiner Wohnung postiert werden, und mindestens ein Polizist in Zivilkleidung würde sich rund um die Uhr in der Wohnung befinden. Doch Palmer sollte niemals beim Betreten des Gebäudes begleitet werden.
Nach Palmers Aussage pflegte er ohnehin selten auszugehen und hatte nie jemanden in seine Wohnung eingeladen. Von daher waren keine Schwierigkeiten zu befürchten. Thorne war es wichtig, dass Palmers Tagesablauf so normal wie möglich erschien. Also sollte alles in dieser Richtung ad hoc entschieden werden. Falls ihn jemand in einen Pub einlud (was, wie er ihnen erzählte, vorgekommen war, wenn auch nicht häufig), wollten sie in der jeweiligen Situation entscheiden, ob er zu- oder absagte. Entsprechend sollte ihn an seiner Arbeitsstelle die undercover operierende Polizistin zum Lunch begleiten. Oder ein Backupteam wäre in der Nähe, falls dies zu auffällig werden sollte. Tatsächlich brauchte Palmer nur einen Abstrich zu machen, was seine normale Routine betraf – er musste seine Eltern anrufen und ihnen erklären, er schaffe es nicht, sie an Weihnachten zu besuchen. Das war auch das Einzige an der ganzen Angelegenheit, was Palmer leichte Bauchschmerzen zu bereiten schien.
Thorne wollte auf Nummer sicher gehen. Kein Risiko. Der Mann, hinter dem er her war, war raffiniert. Er würde, daran hegte Thorne nicht den geringsten Zweifel, Palmer zumindest zeitweise beobachten. Natürlich bestand durchaus die Möglichkeit, dass er bereits genug gesehen hatte. Dass er sich nicht der
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