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Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders

Titel: Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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ganze Geld?«
    Palmer ging zur Couch und setzte sich. Er kniff die Augen zusammen und musterte Thorne, als wolle er jede Nuance dieser Frage erfassen.
    Thorne probierte es noch einmal. »Wofür geben Sie das Geld aus?«
    Achselzuckend schüttelte Palmer den Kopf. »Ich spare es.«
    »Für den Urlaub?«
    »Ich spare es. Steckt alles in Bausparplänen. Gelegentlich schicke ich etwas nach Hause, zumindest tat ich das, aber meine Eltern nehmen es nur ungern, also kaufe ich ihnen jetzt Sachen. Wenn sie etwas brauchen, verstehen Sie. Vor ein paar Monaten hab ich ihnen einen neuen Boiler besorgt.« Er nickte erneut, ein paar Mal kurz hintereinander, wie er es ständig tat. Als sei er mit sich einverstanden und wolle etwas bestätigen.
    Thorne dachte zurück an jenes erste Treffen, als er sich lautstark über eine Krankheit namens Trauer ausgelassen und Palmer zum ersten Mal von Nicklin erzählt hatte. Später hatte man seine Kopfwunde nähen lassen – Jacqui Kaye hatte mit ihrem Schuh einigen Schaden angerichtet und als er zurückkam, fiel es ihm leichter, über Nicklin zu sprechen. Über das Treffen in dem Bistro, den Plan und die Anweisungen für die Morde. Ganz am Anfang dieses Gespräches, als sie darüber redeten, wie er und Nicklin sich kennen gelernt hatten, hatte Palmer einen Namen erwähnt. Zwei-, vielleicht dreimal war ein Mädchenname gefallen. Dieses Mädchen war nur kurz schemenhaft aufgetaucht, etwas, das man fast ausmachen konnte, das knapp unter der Wasseroberfläche trieb, bevor es wieder in der Tiefe verschwand. Jetzt schwebte der Name an die Oberfläche von Thornes gedanklichem Morast.
    »Erzählen Sie mir von Karen.«
    Palmer nahm einen Schluck. Er behielt das Bier ein paar Sekunden im Mund, bevor er es hinunterschluckte. »Karen ist tot.« Wieder dieses Nicken. Thorne wartete. »Sie stieg in ein Auto und starb. An einem sonnigen Tag stieg sie in einen blauen Vauxhall Cavalier – es kam in den Nachrichten, Sie müssten sich die Aufzeichnung besorgen können. Das war’s. Sie war vierzehn.« Er stürzte beinahe den ganzen Rest seines Biers in drei riesigen Zügen hinunter, stellte das fast leere Glas auf den Boden und sah zu Thorne. »Ein blauer Vauxhall Cavalier. Mit einem Mörder am Steuer. Einem wie ich.«
    Es gab nur eine Möglichkeit für Thorne, die darauf folgende Pause zu überbrücken. Er hatte die Worte bereits bei hundert verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen. Und dabei immer den gleichen bitteren Geschmack von Verlust und Sehnsucht gespürt, in der Luft wie in seinem Mund.
    »Tut mir Leid.«
    Was er in diesem Augenblick instinktiv auch so meinte. Doch dann übermannte ihn ein anderer Instinkt, der genauso stark war, und er hatte das Bedürfnis, das Gesagte zurechtzurücken.
    »Nicht für Sie. Für das Mädchen, die Familie. Nicht für Sie, Palmer.«
    Wieder Schweigen, ein, zwei Nicken, und das Ticken der auf dem Bildschirm herumschwebenden Uhren wirkte plötzlich viel lauter, füllte die Leere zwischen ihnen.
    Thorne zuckte kurz zusammen, als die Computeranimationen plötzlich zu schlagen anfingen, und blickte auf den Monitor. Dann hinunter auf seine Uhr. Mitternacht. Weihnachtstag. Als er sich umsah, saß Palmer auf der vordersten Sofakante. Er lächelte ihm seltsam zu, das so gut wie leere Glas in der Hand, in dem sich nur noch ein Schluck Bier befand.
    »Fröhliche Weihnachten, Detective Inspector Thorne.«
    Thorne stand schnell auf; er hatte das Gefühl, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Das Gefühl verflog, dennoch stieß ihm der Geschmack von Kotze auf, und er schluckte ihn wieder hinunter.
    Er öffnete die Vordertür. Der Polizist draußen legte die Zeitung weg und erhob sich. Thorne verharrte kurz auf der Schwelle. Er war ein wenig benebelt, obwohl er sein Bier nicht angerührt hatte. Hinter sich hörte er die Couch im Wohnzimmer quietschen, Palmer stand auf.
    »Warum sind Sie gekommen?«, fragte Palmer.
    Thorne bat den Polizisten wieder herein. Er streckte sich, um draußen im Gang etwas frische Luft zu schnappen, bevor er hinaustrat.
    »Keine Ahnung …«
    Palmer drückte das Gesicht ans Fenster. Unter ihm tauchte Thorne in der Doppeltür auf und blieb im Gras stehen, um tief durchzuatmen.
    Er trank einen Schluck Bier aus Thornes Glas und dann noch einen. Als er es hinunterschüttete, hüpfte sein riesiger Adamsapfel auf und ab, und etwas von dem Bier rann ihm übers Kinn. Er schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, die ihn in den Augenwinkeln zu brennen

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