Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders
Illusion hingab, Palmer befände sich noch auf freiem Fuß. Vorausgesetzt, er konnte zwei und zwei zusammenzählen …
Wie Thorne Jesmond erklärt hatte, sie waren überzeugt, dieses Risiko eingehen zu müssen.
Und es gab zweifelsohne jede Menge Risiken …
Norman hatte auf Anhieb einen ganzen Schwung davon entdeckt. Er wollte sich selbst um die Medien kümmern, aber das Team hatte den Vortrag nicht positiv aufgenommen, den Thorne gehalten hatte und der seines Erachtens unerlässlich war. Den Vortrag über undichte Stellen. Er hatte sich gewünscht, Brigstocke fungiere als Moderator. Doch der Detective Chief Inspector war noch immer nicht in der Stimmung, Thorne einen Gefallen zu tun. Was die negative Stimmung betraf, die ihm entgegenschlug, war die Atmosphäre, die auf seine Rede folgte, das Tüpfelchen auf dem i. Thorne war sich jedoch über die Notwendigkeit im Klaren. Außerdem war er bisher immer nur den oberen Rängen auf den Schlips getreten. Nun hatte er es sich gründlich mit jedermann verdorben. Zumindest das hatte sich geändert …
Thorne wollte, dass hier nichts schief lief. Er wollte, dass nichts an die Öffentlichkeit drang, es sei denn, als Quelle kam jemand anders als Martin Palmer in Frage. Sie könnten natürlich Martin Palmers Beschreibung von Nicklin verwenden – dafür ließe sich jederzeit ein Zeuge erfinden. Doch jeder Ermittlungsansatz, der sich ausschließlich auf Palmer zurückführen ließ, musste mit größter Umsicht und Diskretion verfolgt werden.
Thorne konnte mit den finsteren Blicken umgehen sowie den subtilen und weniger subtilen Bemerkungen. Wirklich verunsichert war er nur einmal, bei der Pressekonferenz am Samstag, weniger als vierundzwanzig Stunden, nachdem Miriam Vincents Leiche gefunden worden war.
Die Lügen machten ihm zu schaffen, die nackt zutage traten in dem Blitzlichtgewitter, auf der Bühne, die sie sich frech mit Miriam Vincents gramgebeugter Mutter teilten. Jemand, möglicherweise war es Steve Norman gewesen, hatte tatsächlich vorgeschlagen, Schauspieler zu engagieren, um die Eltern von Palmers fiktivem Opfer zu spielen. Thorne war froh, dem einen Riegel vorgeschoben zu haben. Das hier war schon schlimm genug …
Norman hatte eine eindrucksvolle Truppe auf die Bühne geführt, die aus Jesmond, Brigstocke, einer jungen, als Familienbeauftragte fungierenden Polizistin und Mrs. Vincent bestand. Nach der wenig überraschenden Einführung von Jesmond stellte Norman Rosemary Vincent vor. Sie war Anfang fünfzig, groß und ein wenig linkisch und hatte ein Gesicht, das wohl bis vor zwei Tagen leicht zu lesen gewesen war, bevor es zum Spiegel von Gefühlen wurde, die ihm wesensfremd waren.
Ein Brennen im Bauch, eine schorfige Stelle, an der man herumkratzt. Wut und Schuldgefühle …
Was sie über ihre Tochter erzählte, war anrührend. Dabei hielt sie Miriams Bild umklammert und bemühte sich, nicht zusammenzubrechen, als sie von ihrem letzten Gespräch erzählte – als sie sich stritten, weil sie nicht nach Hause kommen wollte. Thorne stand hinten im Saal, hinter den Journalisten, weit entfernt von den Kameras, unfähig, die Augen von dieser Frau abzuwenden. Hunderte von Malen hatte er bereits Menschen in derselben Situation erlebt, doch nur selten waren die kürzlich Verstorbenen so sehr Teil von ihnen gewesen. Es war ständig präsent, in jedem nervösen Lächeln, jedem Herumfuhrwerken an der Frisur, im Beben der Lippen. Er zuckte zusammen, als sie über den Kummer sprach, den die Eltern des anderen Opfers empfinden mussten. Die Scham griff wie eine kalte Hand nach seiner Kehle, als sie von ihrem Schmerz sprach, der zu groß war, um selbst hierher zu kommen …
An dieser Stelle schwor sich Thorne, dass er, sobald das hier vorüber war, Rosemary Vincent besuchen und ihr die Wahrheit sagen würde. Ihr erklären würde, warum er getan hatte, was er getan hatte.
An diesem Abend sah er sich die Höhepunkte der Pressekonferenz auf einer Hand voll verschiedener Kanäle an, und jedes Mal spürte er die Finger um seine Kehle.
Er wollte gerade ins Bett gehen, als das Telefon läutete.
»Ja …«
»Tom? Bist du’s, Tom?«
»Mit wem sprech ich?«
»Hier ist Eileen, Schatz, die Schwester deines Vaters.«
»Ach …«
»Tut mir Leid, dass ich so spät anrufe, aber wir haben uns einen Film angesehen und, du verstehst schon, gewartet, bis er zu Ende ist.«
»Das macht nichts …« Thorne war gerade dabei gewesen, eine halb leere Weinflasche und ein benutztes Glas
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