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Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders

Titel: Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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zerrten ihn in den Park, glaub ich …«
    Thorne kannte die Geschichte. Palmer hatte sie ihm erzählt. Dabei waren seine Augen hinter der Brille feucht geworden, er hatte langsam und traurig genickt, als er sich selbst durch das falsche Ende eines Teleskops betrachtete, und geschwitzt, als er es noch einmal durchlebte. Jedes Detail konserviert im Aspik erinnerter Scham. Die Füße in den abgestoßenen Straßenschuhen schienen wie festgewurzelt zu sein, unfähig, ihn wegzutragen; die wulstigen Finger legten sich langsam um den braunen, geriffelten Griff der Pistole …
    Thorne wurde klar, dass das der Moment gewesen war, in dem sich alles geändert hatte. Ab diesem Augenblick gab es kein Zurück mehr. Er dachte darüber nach, was Bowles ihm soeben erzählt hatte. Ein paar Monate später wären Palmer und Nicklin in verschiedenen Leistungsgruppen gewesen, hätten sich auseinander entwickelt. Nicklins Einfluss auf den Jüngeren wäre nicht mehr so stark gewesen. Hätten sie sich auseinander entwickelt? Hätten womöglich ein paar Monate damals, vor so vielen Jahren, fünf Frauen das Leben retten können?
    Mindestens fünf Frauen …
    Es klopfte an der Tür, und Holland trat ein. Thorne nickte ihm zu. »Das ist Constable Holland …«
    Bowles musterte ihn theatralisch und tat, als wäre er schockiert. »Sieht aus wie ein Sechstklässler.« Holland lächelte achselzuckend über den schwachen Witz.
    »Haben Sie verfolgt, wie es mit den beiden weiterging, nachdem sie von der Schule geflogen waren?«, fragte Thorne.
    Der Lehrer schüttelte heftig den Kopf. »Hab die beiden keine Sekunde vermisst. Nicklin hat nur Ärger gemacht, und Palmer war bloß ein großer, ungeschickter Kerl. Wohl nicht seine Schuld. Jungs in diesem Alter sind oft entsetzlich linkisch und haben Probleme sich einzufügen. Wie ein Klumpen Knete, der noch nicht geformt ist. Palmer wurde nur von der falschen Person geformt, fürchte ich.«
    Thorne nickte Holland zu. Zeit zu gehen. »Vielen Dank, Mr. Bowles.« Thorne reichte ihm seine Karte, die Bowles einsteckte, ohne einen Blick darauf zu werfen. »Falls Ihnen noch etwas dazu einfällt …«
    »Ich brachte mir selbst das Jonglieren bei, als ich noch jünger war«, erklärte Bowles. »Gab gelegentlich eine Vorführung vor der Klasse. Am letzten Schultag, in der Richtung. Ich kann mich daran erinnern, eine Vorführung in ihrer Klasse gegeben zu haben – Palmers und Nicklins Klasse. Eine Kaskade aus fünf Bällen, an einem guten Tag auch sechs. Einen Stuhl balancieren …« Er deutete auf den massiv wirkenden Holzstuhl hinter dem Schreibtisch. »… einen dieser Stühle, auf meinem Kinn. Wissen Sie, dass Marsden jünger ist als ich?«
    Thorne brannte darauf, hier wegzukommen. »Wie bitte, Sir?«
    »Der Direktor. Sie holten Marsden vor ein paar Jahren, von draußen. Ich bin zehn Jahre älter als er.« Er breitete die Arme aus, als sei offensichtlich, was er damit meine. »Bin froh, hier rauszukommen, um Ihnen die Wahrheit zu sagen. Schaffe nicht einmal mehr drei Bälle …«
    Holland öffnete die Tür, und Thorne machte dankbar ein paar Schritte darauf zu.
    Bowles nickte und sagte leise: »Was hat Nicklin getan?«
    »Ich fürchte, das kann ich Ihnen …«
    »Natürlich nicht, entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe. Wissen Sie, ich habe seit Jahren nicht mehr an diese Jungs gedacht, bis man mir sagte, dass Sie mit mir über die beiden sprechen wollen. Ich habe Hunderte von Schülern unterrichtet und kann mich an die meisten, um ehrlich zu sein, nicht mehr erinnern. An ihre Arbeiten eher, aber nicht an die Gesichter. Seit ich diese zwei Namen gehört habe, gehen mir die beiden nicht mehr aus dem Kopf. Geht er mir nicht mehr aus dem Kopf. Immer wenn Sie über ihn reden, haben Sie diesen Ausdruck im Gesicht, Inspector Thorne, wissen Sie das?«
    Thorne wusste, dass es zwecklos war, es abzustreiten und Überraschung zu heucheln. Sein Gesicht war wie ein Spiegel. War es schon immer gewesen. Sowohl die Verachtung, die er für manche empfand, als auch sein Mitleid für andere traten offen zutage. Sein Mienenspiel brachte Entsetzen, Ekel und Wut so natürlich zum Ausdruck, wie das Gesicht eines schlechten Schauspielers die entsprechenden Klischees ablieferte. Dabei kamen ihm die finsteren Töne gelegener, verzog er eher mürrisch die Miene, als dass er lächelte. Allerdings sprach einiges dafür, dass sein Lächeln, so selten es war, die durchschlagendere Wirkung entfaltete.
    Beides hatte ihn oft genug in

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