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Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders

Titel: Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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gesprochen hatte, war klar, dass die Frau in dem massiven Sessel – mit den verkrümmten Händen auf der grünen Decke – geistig noch immer auf der Höhe war. Körperlich allerdings hatte sie schwer nachgelassen. Arthritis, Diabetes, Angina Pectoris … der Katalog der verschiedenen Krankheiten war von der Pflegerin fröhlich vorgetragen worden – einem grobschlächtigen Exemplar namens Margaret –, als sie sie in Annies Wohnung bat und ihnen sogleich erklärte, aus der würden sie nicht viel herausbekommen, das gelänge keinem.
    McEvoy brachte den Tee, und während sie die Tassen verteilte, hing Thorne weiter dem Gedanken nach, der ihn beschäftigte, seit er durch die Tür gekommen war. Was war vorzuziehen? Ein klarer Verstand und ein Körper, der im Arsch war? Oder rund und gesund zu sein und dafür im Oberstübchen ohne nennenswerte Substanz? Offensichtlich konnte sich das niemand wirklich aussuchen – trotzdem konnte Thorne nicht davon lassen, die beiden Optionen gegeneinander abzuwägen. Es sah aus, als habe sein alter Herr die andere Richtung eingeschlagen. Thorne vermutete allerdings, dass er selbst, wenn es so weit wäre, es vorziehen würde, oben wie unten gleichermaßen vor die Hunde zu gehen. Wenigstens würde es ihm dann nichts ausmachen, wenn er in seiner eigenen Scheiße saß …
    Er trank seinen Tee und dachte über das Treffen mit Ken Bowles am Tag zuvor nach. Ein Mann, bei dem Einsamkeit und Schmerzen um die nächste Wegbiegung lagen. Er nahm sich einen Keks und dachte über die Enrights nach. Als wären die alltäglichen Leiden des Alters nicht schon schlimm genug.
    Charlie Garner kam ihm in den Sinn, der noch überhaupt nicht alt war. Der sein Leben noch vor sich hatte und dennoch vor einem Trümmerhaufen stand. Dem seine Mutter von dem Sohn der alten Lady genommen worden war, die in ihrem scheißefarbenen Sessel mit dem Plastikschutz saß und Tee schlürfte.
    Thorne musterte Anne Nicklin. Als sie ihren Sohn Stuart betrachtet hatte, damals, als er so alt war wie Charlie Garner, welche Zukunft hatte sie sich da für ihn ausgemalt? Was hatte sie sich für ihn erträumt?
    »Ist es so recht, Annie?«, fragte McEvoy.
    Mrs. Nicklin nickte erneut, schlürfte und starrte weiter auf den Fernsehschirm, obwohl dieser nicht eingeschaltet war.
    Thorne hievte seinen Hintern aus den Tiefen des weichen, ungefederten Sofas und beugte sich vor. »Wir wollten Ihnen nur ein paar Fragen wegen Stuart stellen.«
    Nichts. Nur das Schlürfen. Das endlose Röhren eines Lastwagens, der zurücksetzte. Ein Hund, der in einer der anderen Wohnungen jaulte.
    Thorne sah hinüber zu McEvoy und zog eine Augenbraue hoch. You have a crack, and keep it nice.
    McEvoy hatte, sehr zu ihrem Ärger, am Morgen beim Münzenwerfen gewonnen. Thorne hatte sich nicht zu einer Entscheidung durchringen können, was sie bei der alten Frau weiterbrächte – Hollands jungenhafter, strubbeliger Charme oder das Mitgefühl einer jüngeren Frau? Das Los war auf McEvoy gefallen, und im Auto auf dem Weg hinaus nach Stanmore, während Thorne fuhr und versuchte, die angeschlagene Heizung des Mondeo zum Laufen zu bringen, hatte sie nicht mit ihren Gründen hinterm Berg gehalten, warum sie deshalb stinksauer war …
    »Mir ist nicht unbedingt danach, einer netten alten Lady alles Mögliche über ihren Sohn aus der Nase zu ziehen, der zufällig ein Psychopath ist. Man braucht keine Unmenge Fachliteratur intus zu haben, um zu wissen, dass sie vielleicht etwas damit zu tun haben könnte.«
    Thorne hatte überhaupt keine Fachliteratur gelesen und wollte davon nichts hören. »Was? Hat sie ihn in den Kohlenkeller gesperrt? Ihn gezwungen, Frauenkleider und Lippenstift zu tragen? Wir müssen mit dieser Frau sprechen, und zwar offen. Nichts interessiert mich weniger als eine Diskussion über den Einfluss von Anlage versus Erziehung …«
    McEvoy war es offensichtlich vollkommen egal, ob ihn das interessierte oder nicht. »Erziehung, immer. Immer.«
    Thorne blieb an der Ampel stehen und zog die Handbremse. »Angenommen, Sie haben Recht. Sie haben nicht Recht, aber angenommen, Sie haben Recht …« – McEvoy sagte nichts darauf und blickte unverwandt aus dem Fenster – »was ist dann mit Nicklins Vater? Warum könnte nicht er es gewesen sein, der den armen kleinen Stuart mit dem Kleiderbügel grün und blau schlug oder was auch immer?« Palmer hatte ihm bereits erzählt, dass Stuarts Vater von zu Hause abgehauen war, als er noch in den Windeln steckte. Niemand

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