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Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders

Titel: Tom Thorne 02 - Die Tränen des Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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ihren verkrümmten Fingern steckte, griff sie nach der Decke auf ihrem Schoß und zog sie näher an sich.
    »Erzählen Sie es uns, und wir gehen, Annie«, sagte McEvoy.
    »Sie stieg in ein Auto.« Sie sprach langsam und betonte dabei jedes Wort, als erkläre sie etwas entsetzlich Kompliziertes. Nur um sicherzugehen, dass Thorne verstand. Sie wiederholte: »Sie stieg in ein Auto.«
    »Als sie mit Stuart zusammen war?«
    »Danach. Kurz danach. Sie war vor ihm, und das Auto hielt an.«
    »Der blaue Vauxhall Cavalier …«
    Sie starrte auf ihre Decke, die sie noch immer umklammert hielt. »Sie wissen das alles.«
    Thorne schüttelte den Kopf. Sie wich seinem Blick aus. »Das muss Stuart sehr mitgenommen haben. Er sah, wie es passierte, stimmt’s?«
    Sie wandte sich hastig zu ihm um. »Ja, er war mitgenommen. Danach hörte er nicht mehr auf zu weinen. Stuart sah alles. Er sah, wie sie in das Auto stieg. Er sah den Mann am Steuer. Er erzählte der Polizei, wie der Mann aussah, der den Wagen fuhr. Sie können das überprüfen.«
    »Er erzählte es der Polizei? Oder erzählte er es Ihnen, und Sie erzählten es dann der Polizei?«
    »Beides. Beides.« Missbilligend klickte sie mit der Zunge gegen den Gaumen, und eine mit Altersflecken übersäte Hand begann kraftlos auf die Sessellehne zu klopfen.
    McEvoy war auf den Beinen und stand direkt hinter Annie Nicklins Stuhl. »Dieser Mann, der Mann, den Stuart sah, packte der Karen? Stieg er aus dem Auto aus? Zwang er sie?« McEvoy hätte genauso gut mit sich selbst reden können. Sie starrte Thorne über die weißen Haare auf Annie Nicklins gebeugtem Kopf hinweg an. Zuckte mit den Achseln. Reicht das!
    Ungeachtet seiner Tirade im Auto auf dem Weg hierher verspürte Thorne den Drang, diese alte Frau anzubrüllen, sie fertig zu machen. Er wurde nur etwas lauter, doch als er zu sprechen anfing, hob Annie Nicklin den Kopf. Zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke, und sie hielt ihm stand.
    »Hatte Stuart eine Idee, warum? Wenn dieser Mann sie nicht zwang, hatte Stuart eine Idee, warum Karen McMahon in sein Auto stieg? Hat er Ihnen das erzählt, Annie?«
    Thorne spürte, dass sein fester Blick auf Interesse stieß. Dann entzog sie sich ihm mit einer schmerzhaft anmutenden Bewegung und schaute zu Boden, wobei sie sich mit einer Hand an die Decke klammerte, als ginge es um ihr Leben, während sie mit der anderen nach ihrem Spazierstock griff.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis Thorne registrierte, was sich hier abspielte, und nach unten sah. Das Stoßen des Stockes gegen sein Schienbein war fast nicht zu spüren. Ein schwacher Versuch, ihn mit dieser Gummispitze wegzuschieben. Was sich von dem dahinter steckenden Anliegen keineswegs behaupten ließ. Annie Nicklin stieß und schob, um ihn loszuwerden …
    Während sie mit ihrem dürren Arm und dem knorrigen Stock an ihm herumfuhrwerkte, fing sie an zu sprechen. Ihre Stimme war klar und hoch, sie schien fast zu singen, als sie dieselben fünf Worte ständig wiederholte.
    »Sie stieg in ein Auto …«
     
    Als sie in dem Mondeo auf der Honeypot Lane – ein bizarrer Name – zurück nach Hendon fuhren, stellte Thorne sich ein Mädchen in einem weißen Kleid vor. Er hatte keine Ahnung, was Karen McMahon wirklich trug, aber es war ein Sommertag, und er stellte sich vor, wie sie die Tür eines blauen Autos öffnete, sich eine Haarsträhne hinters Ohr schob und in den Wagen stieg.
    Am Bildrand stand ein Junge namens Stuart Nicklin, verschwommen, den Kopf leicht geneigt, doch mit diesen dunklen Augen, denen kein Detail entging. Abwesend, doch zugleich sehr anwesend, wie ein Phantombild oder eine Doppelbelichtung, war ein Mann namens Martin Palmer, der noch zwanzig Jahre später vollkommen versaut war.
    Irgendetwas an dem Bild stimmte nicht …
    »Also, Anlage oder Erziehung?«, fragte McEvoy, als sie sich dem Becke House näherten.
    Thorne schmunzelte. »Ich sage nichts.«
    »So wie die Alte …«
    Thorne kam nicht umhin, ihr Recht zu geben. »Ich habe bewaffnete Räuber kennen gelernt, Vergewaltiger … Ich habe Axtmörder verhört, die leichter zu knacken waren.« McEvoy lachte, aber Thorne meinte es todernst. »Falls Nicklin nur über einen Bruchteil dieser Entschlossenheit oder dieser … Berechnung verfügt, stecken wir in Schwierigkeiten.«
    »Was ist mit Palmers Eltern?«
    Thorne schüttelte den Kopf. Das war wirklich nicht nötig, und außerdem würden sie noch früh genug von der Sache erfahren. Ein Telefonanruf von Palmer ein, zwei

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