Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
glückliche Paar sich zum ersten Tanz zu »Lady in Red« auf die Tanzfläche begeben hatte, und Thorne saß noch immer wie festgenagelt auf seinem Platz in der Ecke. Von hier aus konnte er das Geschehen im Hauptsaal überblicken und ein Auge auf seinen alten Herrn haben.
Ein Blick hinüber – sein Vater saß nicht mehr an der Bar. Thorne stand auf und bestellte sich noch ein Guinness. Während er wartete, bis es gezapft wurde, spazierte er durch den Hauptsaal.
Er kam an Leuten vorbei, die er nicht gut oder überhaupt nicht kannte. Ihre Gesichter waren bunt beleuchtet von der jämmerlichen Lichtorgel des DJs – erst rot, dann grün, dann blau. Am gegenüberliegenden Ende des Saals blickte Thorne nach rechts und sah durch den Bogen, der in einen kleineren Saal führte, seinen Vater, wie dieser sich grummelnd am Büfett Essen auf einen Pappteller häufte, das er nie und nimmer essen würde.
»Mach halblang, Dad. Wie viele Hühnchenschenkel kann ein Mensch essen?«
»Kümmer dich um deinen eigenen Kram …«
»Das ist zu viel … Du musst die Hand drunterschieben …«
»Scheiße …«
Der mickrige Pappteller war unter der Last umgeknickt.
Die Matratze hatte unter dem Gewicht des Toten nachgegeben.
Plötzlich war Thorne wütend auf seinen Vater. Wütend, weil er das Kindermädchen spielen musste. Und noch wütender in Anbetracht der Tatsache, dass, wenn er denn zu Hause sein könnte, auch nur tote Hose wäre. Sämtliche Spuren kalt, neue Hinweise Fehlanzeige. Er wurde nicht gebraucht.
Er bückte sich, um das verschüttete Essen aufzuheben, überlegte es sich jedoch anders und schob es mit dem Fuß unter den Tisch.
Das Zimmer war megariesig. Vielleicht kam es ihm auch nur so vor. Ihm war klar, sein Raumgefühl war noch nicht zurück. Mann, in Ruhe scheißen zu können …
Welch musste sich zusammenreißen, um nicht sofort ins Bad zu rennen und sich einen runterzuholen. Genau das hatte er getan, als Jane sich bei ihm im Männerwohnheim meldete. Eines ihrer Fotos gepackt und losgelegt. Er hatte kaum fassen können, was sie vorschlug.
Er war von den Socken gewesen. Wie hatte sie herausgefunden, wo er steckte? Nicht dass er sich darum scherte, er war absolut begeistert. Dass er noch mal von ihr hören würde, damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte angenommen, sie sei eine dieser blöden Tussis, die drauf standen, Knastis wie ihm zu schreiben, solange sie im Gefängnis saßen, aber rannten, was das Zeug hielt, sobald sie rauskamen. Dessen war er sich so sicher gewesen, dass er die Briefe weggeworfen hatte, die sie ihm ins Gefängnis geschickt hatte. Die Fotos hatte er behalten, logisch. Die würde er niemals hergeben …
So lange Zeit hatte er damit verbracht, sich auszumalen, wie sie wohl ohne diese Kapuze aussähe, oder wenn sie ihr Gesicht aus dem Schatten nähme. Und jetzt, wo er kurz davor stand, sie zu sehen, war es ihm egal. Das war die Wahrheit. Er wusste, wie ihr Körper aussah, dass sie ihn ihm hingeben würde, ihm erlauben würde, ihn zu besitzen. Und das war alles, was er wollte.
Welch atmete langsam und tief aus. Sah auf die Uhr. Er streichelte sich selbst durch die Hose, bezweifelte, ob er sich noch länger zurückhalten konnte, wenn sie nicht bald einen Zahn zulegte …
Es klopfte an der Tür. Dreimal. Sanft.
Auf dem Weg zurück zur Bar war Thorne, nachdem er seinen Vater in Sicherheit gebracht hatte, von seiner Tante Eileen zur Seite gezogen worden, die sich erkundigte, ob er sich auch amüsiere und ob er etwas dagegen hätte, kurz mit einem ihrer Neffen zu reden, der mit dem Gedanken spiele, zur Polizei zu gehen. Thorne dachte, dass er es vorziehen würde, eine Leiche zu waschen, und sagte, ja, natürlich hätte er nichts dagegen, wobei er, als er sich seinen Weg zurück zur Bar bahnte, inständig darauf hoffte, sein Bier möge noch auf ihn warten …
Er nahm einen großen Schluck und leerte sein Glas um ein Drittel. Während ihm das Bier die Kehle hinunter rann, beobachtete er, wie gegenüber an der Bar schneidende Blicke gewechselt wurden. Irgendein Cousin und ein Freund der Braut schienen es aufeinander abgesehen zu haben. Thorne beschloss, keinen Finger krumm zu machen, selbst wenn sie sich die Scheiße aus dem Leib prügelten.
Ihm dämmerte, dass er mit der Annahme falsch lag, so was gäbe es nur bei Hochzeitsfeiern im Familienkreis. Auf Trauerfeiern im Familienkreise konnte man das gewiss ebenso erleben. Das Schlüsselwort war Familie. Dabei galt es, das Wort mit einem
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