Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
metaphorischen Fingerzeig auszusprechen, als sei man ein Darsteller aus EastEnders oder eine dieser lokalen Fernsehberühmtheiten, die ihren Sprachfehler für einen Akzent hielten.
Thorne sah hinüber. Wahrscheinlich würde der Ärger erst später richtig losgehen. Vielleicht draußen auf dem Parkplatz.
Es war bei solchen Feiern, dachte er, bei Geburten, Hochzeiten und Todesfällen, dass die Unterströmungen an die Oberfläche stiegen und instabil wurden. Sich in Strudel von Bier und Bacardi ergossen. In Sentimentalität, Aggression, Neid, Argwohn und Gier.
Derlei war reserviert für unsere Nächsten, wurde vor Fremden verborgen, selbst wenn der Großteil unserer Familie aus genau solchen bestand.
Ein junger Kerl um die sechzehn, siebzehn kam auf Thorne zu. Wohl der Neffe, der beruflichen Rat suchte. Eigentlich war Thorne durchaus in der Stimmung, ihm diesen zu erteilen …
Er könnte mit etwas Statistik anfangen. Zum Beispiel wie viele Morde von mit dem Opfer nicht bekannten Tätern begangen wurden und wie wenige dies im Vergleich zu den Morden waren, bei denen Täter und Opfer verwandt waren. Er würde dem Jungen erzählen, dass er sich, was Familien betraf, über die in ihnen herrschenden Spannungen und die in ihrem Namen begangenen Taten niemals wundern sollte. Er würde dem dummen kleinen Streber erklären, dass Familien gefährlich waren.
Dass sie zu allem fähig waren.
Als der Typ durch die Tür kam, war Welch klar, dass er in Schwierigkeiten steckte.
Diesen Blick kannte Welch. Er hatte Jahre im Gefängnis damit verbracht, ihm aus dem Weg zu gehen. Das war der Blick, den er oft genug in dem Gesicht von gewöhnlichen, waschechten Mördern gesehen hatte. Dieser Blick voll kalter Verachtung, den Caldicott gesehen haben musste, bevor sie ihm unten in der Wäscherei das Gesicht grillten …
Welch dachte, er hätte sich vielleicht mehr zur Wehr setzen sollen, aber was hätte er schon tun können? Der Kerl war ihm körperlich weit überlegen. Die Jahre im Kittchen hatten ihn mental abgehärtet, aber körperlich hatte er abgebaut. Zu viel Zeit zum Lesen und viel zu wenig Zeit für Sport …
Die letzten Augenblicke seines Lebens beschäftigte Welch der Gedanke, dass Schmerz umso schrecklicher war, wenn man ihm wehrlos ausgeliefert war, nicht einmal dagegen protestieren konnte …
Der Schrei in seiner Kehle wurde erstickt – irgendetwas war um seinen Hals geworfen worden –, war nicht mehr als ein gepresstes Röcheln. Auch sein Körper war machtlos. Instinktiv entzog er sich den Qualen, doch durch jedes Zucken, mit dem er dem reißenden, stechenden Schmerz zu entkommen trachtete, zog sich die Schnur nur enger, die ihm die Luft abdrückte.
Welch presste den Kopf auf den Teppich, wobei die Schnur noch tiefer in seinen Hals schnitt, die Zähne sich noch tiefer in seine Zunge gruben. Er spannte sich an gegen die Hände, die seinen Nacken nach hinten zogen, verrenkte sich und verbrachte die letzten Sekunden vor seinem Tod in einer fötalen Haltung.
Ich sterbe wie ein Baby, dachte Welch, die Augen weit aufgerissen, und sah doch nichts in seiner Kapuze. Bis sich schließlich eine sanftere Schwärze über ihn senkte …
Thorne hatte soeben seinen Vater ins Bett gebracht und ging über den Gang in sein eigenes Zimmer, als das Handy läutete. Er ließ es läuten, bis er im Zimmer war.
»Du bist noch spät auf …«
»Super, oder?«, erwiderte Eve. »Morgen ist ein Lie-in angesagt. Und wie war die Hochzeit?«
»Perfekt. Langweilige Ansprachen, beschissenes Essen und eine Rauferei.«
»Und wie war die Hochzeit selbst …?«
»Ach die? Ja, die ging schon …«
Sie lachte. Thorne saß auf dem Bett, das Telefon zwischen Schulter und Kinn geklemmt, und fing an, die Schuhe auszuziehen. »Hör mal, das mit gestern Abend tut mir wirklich Leid …«
»Sei nicht albern. Was macht dein Dad?«
»Er nervt. Nicht, dass er früher nicht genervt hätte …« Thorne glaubte, den Verkehrslärm am anderen Ende der Leitung hören zu können. Wahrscheinlich war Eve unterwegs. Besser, er fragte sie nicht danach. »Also im Ernst, es tut mir Leid, dass ich einfach so verschwunden bin. Habt ihr alles aufgegessen?«
»Mach dir keine Sorgen, das wird schon noch gegessen …«
»Tut mir Leid …«
»Lass nur, so oder so wären Berge davon übrig geblieben. Ich habe Unmengen gekocht, und Denise mampft das schon weg. Also lass dir deshalb keine grauen Haare wachsen.«
Thorne begann, sein Hemd aufzuknöpfen. »Sag ihr und Ben
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