Tom Thorne 03 - Die Blumen des Todes
…
Zehntes Kapitel
Carol Chamberlain war seit je Morgenmensch, doch als ihr Mann kurz nach sieben verschlafen in die Küche schlurfte, war sie bereits seit Stunden auf den Beinen. Er schaltete den Wasserkessel ein und nickte wissend. Ihm war klar gewesen, dass es ihr nach diesem Telefonanruf schwer fallen würde zu schlafen.
Der war am Abend gekommen, in einer Werbepause zwischen der neuesten Talentshow und Blind Date. Als der Anrufer sich vorgestellt und begonnen hatte, ihr auseinander zu setzen, was er von ihr wollte, hatte Carol den fragenden Blick auf Jacks Gesicht verstanden, mit dem er ihr den Hörer reichte.
Sie hatte genau zugehört, was ihr der Commander zu sagen hatte. Die Verzweiflung in seiner Stimme verriet, dass sie offensichtlich weit mehr Fragen gestellt hatte, als er erwartet hatte. Nach fünfzehn Minuten hatte sie sich einverstanden erklärt, über seine Bitte nachzudenken.
Das neue Team sei gebildet worden, war ihr erklärt worden, um die bis dahin – wie sollte man das ausdrücken? – brachliegenden Ressourcen zu nutzen. Die Idee dahinter war, dass hoch qualifizierte Beamte ihre Erfahrung einbringen könnten, um alte, kalt gewordene Fälle noch einmal aufzurollen, einen neuen Blick darauf zu werfen …
Nachdem sie aufgelegt hatte und sich mit ihrem Mann wieder dem Samstagabendfernsehprogramm widmete, war Carol innerlich gespalten. Das mit der »brachliegenden Ressource« traf mit Sicherheit auf sie zu, doch so sehr sie sich wünschte, ja verzweifelt danach sehnte, wieder etwas zu tun, der dubiose Unterton in der Stimme des unglaublich jungen Commanders war ihr keineswegs entgangen. Ihr war augenblicklich klar gewesen, dass in seiner Vorstellung und der vieler anderer nun ganze Horden von betagten Exbullen in Eastbourne aufbrachen und mit Stöcken und Gehwägelchen losschlurften und verknitterte Dienstausweise schwenkend riefen: »Ich hab’s noch drauf! Ich bin zweiundachtzig, wissen Sie …«
Jack brachte ihr eine Tasse Tee und sagte leise: »Du machst es, Schatz, stimmt’s?«
Sie sah zu ihm auf, lächelte nervös, aber so breit wie schon lange nicht mehr.
»Ich hab’s noch drauf«, erklärte sie.
Während Thorne den gemieteten Corsa von Hove in Richtung London jagte, hatte Brigstocke den Tatort im Greenwood Hotel gesichert. Als Thorne ankam, waren bereits knapp drei Stunden vergangen, seit die Leiche, die später als Ian Welch identifiziert werden würde, entdeckt worden war, und mehr als zwölf Stunden seit dessen Tod. Es gab für Thorne nicht viel anderes zu tun, als ihn eine Weile anzustarren.
»Na ja, das Hotel ist wenigstens etwas netter«, sagte Hendricks.
Holland nickte. »Haben uns sogar Kaffee raufgeschickt.«
»In der Lobby gibt es auch eine Überwachungskamera«, sagte Brigstocke. »Ein ziemlich primitives Ding, aber man kann nie wissen.«
Es war die klassische Vertreterburg. Hosenpresse, Teekocher und im Bad die Standardseife. Das einfache, saubere Zimmer unterschied sich vollkommen von dem Loch, in dem sie vor drei Wochen gestanden hatten. Abgesehen von einer grausamen Gemeinsamkeit.
Nicht anders als bei dem Tatort in Paddington war das Bett abgezogen worden und das Bettzeug verschwunden. Die Kleidung lag verstreut herum, aber die Leiche selbst war exakt positioniert. Genau in der Mitte, der Kopf zur Wand hin ausgerichtet, die Handgelenke mit einem Gürtel gefesselt, weiße, blutleere Hände. Die Kapuze, die Schnur um den Hals, die getrockneten, rotbraunen Blutspuren, die sich wie Soßenflecken über die Oberschenkel zogen …
Der hier schien älter zu sein als Remfry. Ende vierzig.
Brigstocke berichtete Thorne das wenige, das sie bisher wussten. Thorne stand dabei am Fenster und blickte hinaus auf das Gelände jenseits der Hauptverkehrsstraße. Sie befanden sich zwei Minuten von der Autobahn entfernt und dreißig Meter von einem wichtigen Kreisverkehr, doch an diesem Sonntagmorgen konnte Thorne nichts hören außer Vogelgezwitscher und dem Rascheln eines Leichensacks.
Dieses Mal hatte der Mörder seinen Blumentribut persönlich bestellt. Die Bestellung war kurz nach halb neun bei einem rund um die Uhr geöffneten Blumenladen aufgegeben und mit der Kreditkarte des Opfers bezahlt worden. Weshalb sie bereits den Namen des Toten kannten …
»Dieses Mal hat er sich nicht damit aufgehalten, eine Nachricht zu hinterlassen«, sagte Brigstocke.
Thorne zuckte mit den Schultern. Entweder hatte der Mörder aus seinem Fehler gelernt, oder er hatte bereits getan,
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