Tom Thorne 04 - Blutzeichen
gewesen, seine Jacke auszuziehen. In der Wohnung war es warm, aber er hatte nicht gewusst, wie lange er bleiben würde. Plötzlich war ihm so heiß wie vor ein paar Stunden neben dem Whirlpool.
»Ja …«
»Hatten Sie was mit Alison Kelly?«
Mehrere Szenarien schossen Thorne durch den Kopf, hastig konstruierte Abwehrmanöver und glatte Lügen. Woher stammte das Gerücht? Das war nicht wirklich wichtig. Unnötiges Kopfzerbrechen …
Thorne wollte Dave Holland nichts vormachen. Er wollte ihm nicht ins Gesicht lügen. Doch letztlich erzählte er ihm die Wahrheit, weil es ihm zuwider war, zu lügen. »Ich hab mit ihr geschlafen, ja.«
Das Entsetzen auf Hollands Gesicht wich schnell einem amüsierten Ausdruck. Und etwas anderem, etwas Hässlichem. Und das veranlasste Thorne, ihm alles zu sagen. Er ertrug es nicht, dass Holland ihn bewunderte.
Als Thorne mit seiner Geschichte fertig war, als er nach Worten für die einfache Wiedergabe eines Pubgesprächs gesucht hatte, bis hin zu solchen, die sich am besten eigneten, um Billy Ryans Leiche zu beschreiben, wie sie blutend am Küchenboden lag, saßen sie eine Weile nur schweigend da und sahen Chloe Holland dabei zu, wie sie schlief.
Holland trank sein Bier aus und quetschte die Dose sehr langsam zusammen. »Wir reden hier nur privat, oder? Das hat nichts mit dem Dienst zu tun?«
»Wenn Sie den Vorschlag machen, den Dienstgrad zu vergessen, meinetwegen ja.«
»Ja, das tue ich …«
Das unangenehme Gefühl, etwas gesagt zu haben, das man besser nicht gesagt hätte, wurde für Thorne allmählich etwas erschreckend Vertrautes. »Vergessen Sie aber nicht, dass das nur für jetzt gilt und dass mir ziemlich schnell der Kragen platzt, ja?« Er sagte das mit einem Lächeln, hoffte jedoch, dass Holland nicht entging, wie ernst er es meinte. Ihm war klar, dass Holland ihn für genauso bescheuert hielt wie Carol Chamberlain, aber er wollte es nicht noch einmal hören …
Holland überlegte es sich und tat das, was Thorne mehr als einmal nicht gelungen war. Er hielt den Mund.
Den Großteil der Rückfahrt von Elephant and Castle verbrachte Thorne damit, über Alison Kelly nachzudenken. Verrückterweise war ihm der Gedanke bis jetzt nicht gekommen, aber nun begann er sich zu fragen, ob sie den Mund halten würde. Er begann sich zu fragen, was geschehen würde, falls sie es nicht tat …
Falls sie ihrem Anwalt gegenüber ihr Gespräch mit einem bestimmten Detective Inspector erwähnte, würde man ihr sicher raten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Schließlich konnte es ihrem Antrag auf verminderte Zurechnungsfähigkeit nur nützen. Lag es nicht nahe, dass es eine Frau psychisch aus dem Gleichgewicht brachte, wenn man ihr erzählte, ihr Exmann habe versucht, sie abfackeln zu lassen, als sie vierzehn war? Dass er dafür verantwortlich war, dass ihre beste Freundin angezündet wurde? Würde da nicht fast jeder durchdrehen?
Zustimmendes Gemurmel im Publikum und Kopfnicken in der Jury …
Warum zum Teufel sollte die Angeklagte eine solche abstruse Geschichte geglaubt haben?
Nun, Euer Ehren, sie wurde ihr von einem der Polizisten erzählt, der gegen ihren Exmann ermittelte. Sie wurde ihr, um die Wahrheit zu sagen, von genau diesem Polizisten in seinem Bett erzählt …
Ungläubiges Staunen im Gerichtssaal …
Thorne hatte in Wirklichkeit keine Ahnung, was passieren würde, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Sicher, sein Gefühl sagte ihm, er würde mit Konsequenzen rechnen müssen, und es wäre wahrscheinlich besser, wenn er zuvor den Polizeidienst quittierte. Und dann wieder war da diese Stimme, die fragte, welche Regel er denn gebrochen hatte. Vielleicht gab es entsprechende Anweisungen in diesem Manual, das zu lesen er sich nie die Mühe gemacht hatte. Er konnte ja schlecht zu Russell Brigstocke gehen und ihn fragen.
Je länger er darüber nachdachte, desto einfacher wurde es. Würde sie es jemandem erzählen? Würde Alison Kelly ihn – aus eigenem Antrieb oder auf den Rat anderer hin – opfern, als Gegenleistung für ein milderes Urteil oder gar einen netten, gemütlichen Aufenthalt im Krankenhaus?
Während der Fahrt über die Waterloo Bridge erschien ihm das als nicht so abwegig.
Im Kreisverkehr am Russell Square glaubte er, dass sie sich wahrscheinlich dagegen entschied.
Als er vor seiner Wohnung vorfuhr, war er sich in einem Punkt sicher: Er würde es ihr nicht vorwerfen, wenn sie es täte.
Sämtliche Gedanken an Alison Kelly waren wie weggefegt, als er
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