Tom Thorne 04 - Blutzeichen
vergessen Sie nicht, wir reden über den Mann, der gestanden hat, dass er meine Tochter angezündet hat.«
»Ich weiß.«
»Den Mann, der gestanden hat.«
»Er hat sein Geständnis widerrufen.«
»Das kommt aber verdammt spät …« Clarke klatschte mit den Handflächen kräftig gegen seine Oberschenkel und grinste dabei, als habe er soeben einen Witz gemacht, aber der giftige Unterton war unüberhörbar. Er fasste nach hinten, tastete nach einem Schalter und schaltete den Deckenfluter ein. »Tun wir was gegen die düstere Stimmung.«
Thorne sah hinauf zu dem Lichtring an der Decke. »Sie haben Recht. Natürlich haben Sie Recht. Das kam verdammt spät …«
»Sie glauben also, der Mann, der das Mädchen letzte Wochen anzünden wollte, ist der Mann, der in Wirklichkeit Jess überfiel?«
»Diese Möglichkeit müssen wir in Betracht ziehen.«
»Wo hat er dann die letzten zwanzig Jahre gesteckt?«
Die Frage lag auf der Hand, und Thorne konnte nur die üblichen Antworten geben. »Weil er sich im Ausland aufhielt. Oder wegen etwas anderem im Gefängnis saß …«
»Und er schlägt jetzt wieder zu, weil …?«
»Weil er Angst davor hat, dass Rooker entlassen wird. Er versucht uns dumm dastehen zu lassen. Uns zu zeigen, wie daneben wir liegen. Oder er will den Ruhm kassieren, der ihm zusteht. Ich weiß es wirklich nicht, Mr. Clarke.«
»Womit wir wieder beim Taschenlampenwitz wären.«
»Sieht so aus, ja.«
Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, hob Thorne die Tasse an die Lippen, obwohl sie bereits leer war. »Hören Sie, wir wissen weder, wer dieser Mann ist, noch ob er der Mann ist, der beinahe Ihre Tochter umbrachte. Und genauso wenig weiß es Gordon Rooker. Zumindest sagt er das.«
»Sie glauben also alles, was er sagt?«
»Was er sagt, ist, dass er weiß, wer dafür verantwortlich war, was Jessica passierte. Er weiß, wer dafür zahlte.«
»Irgendein Gangster.« Man hörte geradezu die Anführungszeichen. »Inoffiziell sagte man mir, niemand könne hundertprozentig sicher sein, wer es genau war, aber er sei höchstwahrscheinlich selbst kurz nach der Sache mit Jess umgebracht worden. Stimmt’s?«
Ein Schatten legte sich über Clarkes Gesicht, als Thorne nicht sofort antwortete. Er wusste, er begab sich in unsicheres Gewässer, und es wäre besser, er ginge nicht weiter. »Es tut mir Leid, aber ich kann unmöglich Näheres …«
Clarke hob die Hände, er verstand.
»Ich wollte nur eines klarstellen«, fuhr Thorne fort. »Falls Rooker aus dem Gefängnis herauskommt, dann nur, um den Mann, der das Schicksal Ihrer Tochter zu verantworten hat, hinein zubefördern.«
Clarke ließ sich das durch den Kopf gehen. Er drehte seinen Sessel zum Feuer und streckte die Hände aus. Es schien plötzlich ein wenig kälter geworden zu sein. Wie ertrug es Clarke wohl, ins Feuer zu sehen? Was sah er, wenn er in die Flammen schaute?
»Sie sollten ein Bild von Jess haben«, sagte Clarke plötzlich.
Ein kaum wahrnehmbarer Schauer kroch Thorne über den Nacken. Als hätte der Mann ihm gegenüber irgendwie gespürt, was er dachte. Er folgte Clarke mit den Augen, als er aufstand und zu der Holztruhe in der Ecke trat, auf der eine ganze Reihe von Fotos in Metallrahmen stand.
»Ja …«
»Als Erinnerung.«
Clarke griff nach einem kleinen Rahmen und nahm die Klammern ab, die das Bild an Ort und Stelle hielten. »Das hier ist ein gutes Foto.« Er entfernte das Glas und nahm das Foto heraus, um es in der Luft zu schwenken.
Thorne stand auf und trat zu Clarke, um das Foto entgegenzunehmen. Clarke gab es ihm und ging zur Tür. »Das ist das ›Vorher‹-Foto. Jetzt brauchen Sie noch das ›Nachher‹-Foto. Ich habe keine hier stehen, weil Isobel sich zu sehr aufregt. Nur aus diesem Grund.«
Er verließ das Zimmer. Thorne hörte ihn die Treppe hinauflaufen, hörte eine Tür auf- und wieder zugehen.
Sie sollten ein Bild von Jess haben …
Thorne dachte über die Art und Weise nach, in der Clarke das sagte. Als handle es sich dabei um einen guten Rat, der seinem Wohlergehen förderlich wäre. Sie sollten Ihren Cholesterinspiegel überprüfen lassen. Sie sollten Ihre Rentenbeiträge bezahlen. Sie sollten ein Foto von meiner toten Tochter haben.
Thorne war klar, dass Clarke sich sehr wohl über den Charakter seines Besuches bewusst war. Das hier war weder Teil einer Ermittlung, noch wurde das Foto benötigt. Hier ging es einzig darum, dass Ian Clarke Thorne das Foto geben wollte. Weil er dachte, er bräuchte es
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