Tom Thorne 04 - Blutzeichen
den Typ des ›auf eigene Faust‹ ermittelnden Beamten.«
Hendricks arbeitete lange. Bereits den zweiten Abend saß Thorne alleine vor dem Fernseher und versuchte, sein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden. Es machte ihm zu schaffen, dass Tughan sich entschlossen hatte, einwandfreie Theorien zu ignorieren. Aber mehr als alles andere bereitete Thorne Bauchschmerzen, dass Ryan damit davonkam. Sicher, eines Tages würde Tughan ihn wegen einer Drogensache oder wegen Betrugs oder Steuerhinterziehung drankriegen. Wer weiß, vielleicht kriegten ihn auch die Zarifs dran?
Aber für Jessica Clarke würde er nicht bezahlen.
Den größten Teil des Abends lungerte Thorne auf der Couch vor sich hin, dann brüllte er eine Weile auf einen Fernsehkoch ein, bis seine schlechte Laune langsam verflog und es ihm wieder besser ging. Verdammt, der Februar war fast vorbei, und der Frühling stand vor der Tür. Er könnte ja seinen Dad abholen und mit ihm übers Wochenende zu Eileen nach Brighton fahren. Dann klingelte das Telefon.
»Siehst du gerade ITV?«, fragte Chamberlain.
»Ich wollte dich auch anrufen. Die Rooker-Sache ist ein Rohrkrepierer …«
»Schalt mal um.«
Thorne griff nach der Fernbedienung und wechselte den Sender. Er stellte den Fernseher lauter.
Eine Reporterin sprach direkt in die Kamera. Thorne sah zu, ohne einen blassen Schimmer zu haben, um was es ging. Bis die Kamera von der Reporterin wegschwenkte und die Geschichte in einer kurzen Sequenz erzählt wurde …
Ein leerer Schulhof. Eine Gruppe Schulmädchen an einer Bushaltestelle. Brennspiritus.
Thornes Magen verkrampfte sich.
»Er hat es noch mal versucht«, sagte Carol Chamberlain. »Er hat wieder versucht, ein Mädchen anzuzünden.«
MÄRZ
DAS GEWICHT DER SEELE
Zwölftes Kapitel
Thorne parkte vor dem Haus und gönnte sich eine kurze Pause. Die längste, die er sich in letzter Zeit gegönnt hatte. Die Ereignisse hatten sich überstürzt, es gab so viel zu tun, Routinekram und anderes, die Zeit war wie im Fluge vergangen: sieben Tage nach dem Versuch, ein Mädchen umzubringen, nun dieser Besuch bei Jessicas Vater, die durch einen ähnlichen Versuch vor zwanzig Jahren beinahe umgekommen wäre.
Sieben Tage, während deren die Leute in der Chefetage rasch ihre Meinung über Gordon Rookers Angebot geändert hatten …
Thorne wartete, bis der Motor wirklich keinen Muckser mehr machte und es im Auto kalt wurde, bevor er ausstieg und zum Haus ging, ein einfaches viktorianisches Reihenmittelhaus südlich der Wandsworth Common, nicht weit vom Gefängnis entfernt. Thorne drückte auf den Klingelknopf und trat ein paar Schritte zurück. In den meisten Häusern brannten Lichter: Menschen, die sich zum Abendessen an den Tisch setzten oder sich fein machten für einen Abend in der Stadt. Das Haus war wohl eine halbe Million wert, weitaus mehr als vor fünfzehn Jahren, als die Clarkes von Amersham in die Stadt zurückgezogen waren. Von Amersham, wo Jessica die Schule besucht hatte.
Der Mann, der ihm aufmachte, nickte nur, während Thorne noch nach seinem Ausweis kramte. »Lassen Sie«, sagte er und trat einen Schritt zurück. Seine Stimme klang dünn und etwas nasal. »Wer sollte sonst kommen?«
Eine Stunde nach dem Bericht in den Nachrichten war Ian Clarke am Telefon gewesen. Er hatte verärgert und verwirrt geklungen. Er wollte über die Details informiert werden und wissen, was genau unternommen würde. Thorne hatte das Gefühl, als habe er sich inzwischen etwas beruhigt.
»Danke, dass Sie sich die Mühe machen. Mit etwas Glück kriegen wir eine Tasse Tee …«
»Das wäre wunderbar.«
»Wir haben Earl Grey im Haus, glaub ich …«
»Mir ist jeder Tee recht.«
Der Tee wurde gebracht, und Mrs. Clarke erklärte, sie habe zu tun. Sie lächelte nervös, als sie das Zimmer verließ. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte Thorne an den Blick, mit dem Besucher schwer kranke Patienten bedachten, bevor sie die Krankenzimmertür hinter sich schlossen.
»Emma hat ein Catering-Geschäft«, sagte Clarke. Er deutete zur Decke. »Sie hat oben ein kleines Büro.«
»Ach ja. Und Ihre Tochter?«
Nach einer kurzen, verlegenen Pause fragte Clarke nach: »Isobel?«
Thorne nickte. Die zweite Tochter.
»Die ist irgendwo im Haus.«
Clarke hatte sich 1989, drei Jahre nach Jessicas Tod und unmittelbar nachdem sie von Buckinghamshire nach London zurückgezogen waren, von seiner ersten Frau getrennt.
Das erlebte Thorne häufig bei hinterbliebenen Eltern. Nur zu oft war
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