Tom Thorne 04 - Blutzeichen
es schief. Und was immer ihre Botschaft war, sie kam nicht an. Also gingen sie auf seine Tochter los.«
»Und auch das ging schief. Himmel …«
»Doch diesmal hatte Kelly es kapiert. In den Wochen nach der Sache mit Jessica Clarke starben ein Dutzend Leute. Drei Brüder wurden an einem Abend im selben Pub erschossen. Kevin Kelly löschte mehr oder weniger die gesamte Opposition aus.«
Thorne griff nach seiner Tasse. Der Kaffee war eiskalt. »Womit Mr. Kelly und seine Freunde fast den ganzen Norden Londons für sich hatten …«
»Seine Freunde, ja, aber nicht Kelly. Irgendwie hatte dieser versuchte Anschlag auf seine Tochter ihm das Rückgrat gebrochen. Sobald die Konkurrenten aus dem Weg geräumt waren, zog er sich aus dem Geschäft zurück. Machte den Weg frei, einfach so. Er nahm seine Frau, seine Töchter und ein paar Millionen und ging.«
»Klingt vernünftig …«
Chamberlain zuckte die Schultern. »Fünf Jahre später fiel er tot um. War gerade mal fünfzig.«
»Wer führte die Geschäfte, nachdem Kelly sich zurückgezogen hatte?«
»Kelly hatte keine Brüder oder Söhne. Er übergab sein Geschäft an einen dieser Freunde, über die wir sprachen. Einen besonders ekelhaften Typen namens William Ryan. Er war Kellys rechte Hand gewesen und …« Chamberlain sah den Ausdruck auf Thornes Gesicht und brach mitten im Satz ab. »Was ist?«
»Wenn du mit deinem Geschichtsvortrag fertig bist, bring ich dich auf den aktuellen Stand.«
»Was nur fair ist.« Chamberlain legte den Kaffeelöffel weg, mit dem sie die letzten zehn Minuten gespielt hatte.
Thorne schob seinen Stuhl zurück. »Ich hol mir noch eine Tasse Kaffee, möchtest du auch einen?«
Sie hatten sich in einem kleinen griechischen Café in der Nähe der Victoria Station getroffen. Chamberlain hatte am Morgen den ersten Zug von Worthing genommen und wollte so bald wie möglich wieder zurückfahren.
Während er am Tresen wartete, um seine Bestellung aufzugeben, sah Thorne hinüber zu ihr. Sie schien etwas abgenommen zu haben. Normalerweise wäre sie darüber sicher froh gewesen, doch im Augenblick war nichts normal. Ihre Falten traten offen zutage, als sie aufsah und ihm zulächelte. Plötzlich wirkte sie wie eine alte Frau … eine zutiefst verängstigte alte Frau.
Thorne kam mit einem Tablett zurück an den Tisch: zwei Kaffee und eine Baklava zum Teilen für beide. Er legte sofort los und erzählte Chamberlain zwischen den Bissen alles über die SO7-Operation. Über die aktuellen Kräfteverhältnisse in der Szene des organisierten Verbrechens im Norden. Über die bis dato noch nicht zuordenbare Kriegserklärung an einen mächtigen Bandenboss namens Billy Ryan …
»Es freut mich, zu hören, dass Billy es so weit gebracht hat«, bemerkte Chamberlain.
Thorne nahm ihren Sarkasmus und ihr Grinsen erleichtert zur Kenntnis. Das war eher die Carol Chamberlain, die er kannte. »Oh, er hat es sehr weit gebracht. Und die Ryans sind wirklich eine Familie: Brüder und Cousins, wohin das Auge blickt, und es gibt auch einen Sohn und Erben …«
»Stephen. Ich erinnere mich an ihn. Er muss fünf oder sechs gewesen sein, als das passierte …«
»Jetzt ist er ein großer Junge. Ein gewinnender Zeitgenosse, wie man hört.«
Chamberlain hatte wieder ihren Löffel in der Hand. Sie klopfte damit auf ihre Handfläche. »Billy hat später Alison Kelly geheiratet.«
»Kevin Kellys Tochter? Die eine, die …?«
Sie nickte. »Die eine, die Gordon Rooker anzünden wollte. Die er mit Jessica Clarke verwechselte. Wenn ich mich recht erinnere, heirateten sie und Billy Ryan, kurz bevor Kelly starb. Der alte Herr war glücklich, dass es so kam, aber die Ehe hatte keine Chance. Sie war um ein gutes Stück jünger als er. Ich glaube, sie war gerade achtzehn geworden. Er muss Mitte dreißig gewesen sein und hatte schon ein Kind …«
»Nicht gerade eine von Gott gesegnete Ehe also?«
»Ich glaube, sie hat ein Jahr gehalten oder zwei. Als alles klar war, ist Billy zu der Frau zurückgekehrt, von der er seinen Sohn Stephen hatte. Er hat sie geheiratet, sobald die Scheidung von Alison durch war.«
Thorne deutete mit seinem Löffel auf das letzte Stück Baklava. »Ich esse die ganze Zeit vor mich hin. Möchtest du nicht …?« Sie schüttelte den Kopf, und er aß den Rest. »Erzähl mir von Rooker«, bat er sie.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er hat gestanden.«
»Das hilft immer.«
Inzwischen hatte sie längst aufgehört zu lächeln. »Ganz im Ernst, Tom,
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