Tom Thorne 04 - Blutzeichen
leer ist.«
Die Kratzer waren frisch, da war Thorne sicher. Sie hoben sich hell gegen das stumpfe, dunkle Metall ab.
Holland beugte sich in den Container, wobei er seine Taschenlampe auf Thorne richtete. »Was ist denn los?«
Nur ein Wort. Er kannte die Sprache nicht. Mit einem Messer tief in den Container gekratzt. Oder mit einem Nagel.
UMIT.
»Das waren keine Penner oder Kids«, sagte Thorne. »Und die Zarifs schmuggeln auch keine raubkopierten Videos.« Er drehte sich um zur Tür, in der sich Hollands Umrisse abzeichneten. »Sie schmuggeln Menschen.«
»Was? Illegale Immigranten?«
»Oder Frauenhandel, aber das glaub ich nicht. Ich tippe darauf, dass die Leute freiwillig hier waren. Ihre Ersparnisse drangaben für das Versprechen eines Gangsters.«
Holland sagte etwas darauf, das Thorne jedoch nicht verstehen konnte. Langsam machte er kehrt, der Schein seiner Lampe tanzte gemächlich über die schmutzigen Wände. Er fühlte sich elend, die Frau fiel ihm wieder ein.
Die Frau in der U-Bahn, am ersten Tag. Ein Baby und eine leere Tasse.
Arkan Zarifs Worte.
Brot und Arbeit …
Es war weit nach Mitternacht, als Thorne in die Ryland Road einbog und hinter einem dunkelblauen VW Golf parkte. Er fühlte sich wie erschlagen. Als er an dem Golf vorbei zu seiner Wohnung lief, entdeckte er auf dem Fahrersitz einen schlafenden Mann. Thorne ging langsamer und beugte sich zum Fenster, um ihn näher zu betrachten. Einige Meter entfernt stand eine Straßenlaterne, die etwas Licht spendete, aber nicht allzu viel. Der Mann im Auto schlug die Augen auf, lächelte Thorne an und schloss sie wieder.
Thorne ging weiter zu seiner Haustüre und kramte in seiner Tasche nach den Schlüsseln. Vielleicht hatte er Billy Ryan kräftiger in den Hintern getreten, als er gedacht hatte …
Hendricks lag bereits auf dem Bettsofa und las in einem Taschenbuch mit einem gewollt künstlerischen Umschlag.
Thorne erzählte von seinem Tag.
Was die Arbeit an dem Fall anging, hatte Hendricks praktisch seit der Autopsie an Marcus Moloney nichts mehr damit zu tun gehabt, aber es war wichtig, dass er Teil des Teams blieb. Außerdem war Thorne sicher, dass sie ihn als Spezialisten wieder benötigen würden, bevor alles vorbei war.
»Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht für dich«, rief Hendricks in die Küche. »Klingt interessant …«
Thorne kam mit seinem Tee zurück, drückte auf die Taste und setzte sich auf die Lehne des Sofas, um zuzuhören. Die Nachricht kam von Alison Kelly. Sie fragte, ob er am nächsten Abend Zeit habe, und hinterließ ihre Nummer.
Hendricks legte sein Buch weg. »War das die, von der ich annehme, dass sie es war?«
Thorne schaltete das Licht im Wohnzimmer aus und steuerte das Schlafzimmer an. »Kann ich nicht sagen«, antwortete er. Grinsend öffnete er die Schlafzimmertür. »Ich weiß ja nicht, wer du glaubst, dass es war …«
Ein paar Stunden später tapste Thorne zurück ins Wohnzimmer, noch genauso wach wie zu dem Zeitpunkt, als er es verlassen hatte. Langsam tastete er sich Richtung Fenster. Als er an dem Bettsofa vorbeischleichen wollte, stieß er mit dem Fuß dagegen.
Hendricks schreckte hoch. Der Schlag musste ihn geweckt haben – oder das Fluchen.
»Es ist vier Uhr früh …«
»Weiß ich.«
Obwohl niemand da war, den sie hätten stören können, gebot es die Dunkelheit, zu flüstern.
»Was machst du denn da?«, stöhnte Hendricks.
Thorne war gereizt, und der pochende Schmerz in seinem Fuß machte es nicht besser. »Im Augenblick denke ich gerade, dass es hier etwas sehr eng ist.« Er trat ans Fenster. »Wie lange dauert es denn noch, das bisschen Feuchtigkeit loszuwerden?«
Hendricks sagte nichts darauf.
Thorne zog das Rollo hoch und sah hinaus auf die Straße. Der Golf war verschwunden.
18. Mai 1986
Heute war ich mit Ali in der Stadt. Wir sind einfach nur rumgelaufen. Ali kaufte sich eine Tasche und ein paar neue Tops, und ich holte mir ein paar LPs. Danach aßen wir einen Hamburger und saßen auf einer Bank vor der Bibliothek. Ein paar Jungs hingen herum und starrten uns an. Ich meinte im Witz, auf welche von uns beiden sie wohl stehen. Solche Sachen habe ich früher immer gesagt. (Übrigens standen die Jungs schon immer auf Ali!) Irgendwie hat sie das getroffen. Sie warf ihren Hamburger weg, und mir war klar, dass ich jetzt besser die Klappe halten sollte. Aber irgendwie wollte ich sie zum Lachen bringen. Ich sagte, anscheinend sei an dem Spruch was dran, dass gut
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