Tom Thorne 04 - Blutzeichen
die Polizei wie ein Haufen Halbaffen.
Da war ein mittlerweile vertrautes Flattern im Magen, das er immer spürte, wenn er über das Leben draußen nachdachte. Fühlte sich an wie aufsteigende Panik. Er hatte sich so lange ausgemalt, draußen zu sein, und jetzt, da es in greifbarer Nähe war, merkte er, dass er sich deshalb beinahe in die Hosen machte. Er kannte eine Menge Knastbrüder, die weitaus kürzer gesessen hatten als er und sich draußen nicht mehr zurechtfanden. Die meisten waren nach einem Jahr kaputt vom Alkohol oder anderen Drogen. Manche bettelten geradezu darum, wieder ins Gefängnis zu dürfen, und sorgten schließlich dafür, dass ihr Wunsch Wirklichkeit wurde.
Es würde nicht einfach werden, das war ihm klar, aber wenn er Ryan vom Hals hatte, hatte er zumindest eine Chance. Hatte er die Zeit, sich wieder einzuleben.
Wenn ihn einmal Zweifel plagten und er sich Gedanken darüber machte, ob er seine Meinung nicht ändern und Thorne und die anderen zum Teufel wünschen sollte, dann brauchte er nur an den Abend im Epping Forest zu denken, eines der letzten Male, als ihm Ryan über den Weg gelaufen war. Er brauchte sich nur an Ryans Blick zu erinnern.
Er hatte Angst davor, rauszukommen, aber vor Billy Ryan hatte er noch mehr Angst.
Rooker drehte sich auf die Seite zur Wand und krümmte sich dabei vor Schmerz. Seine Bauchwunde war noch immer nicht abgeheilt. Wenn er es sich überlegte, zog er den Schmerz der Panik vor. Trotz allem beschloss er, ein bisschen zu telefonieren, wenn er draußen war und der Wirbel sich gelegt hatte. Er würde ein, zwei Gefallen einfordern und diesen Scheißer Fisher erledigen lassen.
Thorne sah hinüber zu dem Wecker auf seinem Nachtkästchen. Zehn Minuten nach fünf Uhr früh. Nur zehn Minuten waren vergangen, seit er das letzte Mal geguckt hatte.
Er drehte sich auf die andere Seite und betrachtete Alison Kelly, wie sie schlief.
Sie bekam nichts mit von der Welt und hatte sich kaum bewegt, seit sie das zweite Mal weggedöst war. Das Glück würde ihm verwehrt bleiben. Er hatte kaum ein Auge zugetan, seit ihn das Schluchzen vor drei Stunden geweckt hatte.
Er betrachtete, wie sie schlief, und dachte darüber nach, was er ihr gesagt hatte.
Eine Weile lang hatte er kein Wort aus ihr herausgebracht. Jeder Versuch, etwas zu sagen, wurde erstickt durch ein Beben in ihrer Brust, das ihren ganzen Körper erfasste. Er hatte sie in die Arme genommen, bis sie sich etwas beruhigte, und ihr zugehört, als es draußen hell zu werden begann und die Tränen auf seinen Armen und seinem Hals trockneten.
Sie hatte einige der Fragen gestellt, die er bereits kannte, und andere, die er in ihren Augen gesehen hatte, als sie von ihrer Vergangenheit erzählte. Ihr Flüstern und ihre Schluchzer verrieten eine Verzweiflung, wie er sie nur von Menschen kannte, die um jemanden trauerten, oder von den Eltern vermisster Kinder.
Was hätte sie anders machen können?
Warum brannte Jessica?
Wann würde sie je dieses Gefühl los, selbst zu brennen?
Also hatte Thorne sie festgehalten und ihr schließlich die einzige Antwort gegeben, die er darauf hatte, in der Hoffnung, dass sie ihr als Antwort auf all ihre Fragen genügte.
Die Tränen waren danach schnell ausgeblieben, und sie schien plötzlich so müde zu sein, dass sie nicht einmal mehr den Kopf halten konnte. Langsam war sie auf das Kopfkissen gesunken. Sie hatte das Gesicht von ihm abgewandt, und Thorne hatte keine Ahnung, wie lange sie so dalag und seine Schlafzimmerwand anstarrte. Es wäre falsch gewesen, sie zu fragen, selbst flüsternd zu fragen, ob sie noch wach war.
Jetzt lag er da, starrte seine billige Lampe an und war sich nicht einmal sicher, warum er es ihr gesagt hatte. Vielleicht lag es daran, wie sie im Pub über Ryan gesprochen hatte. Vielleicht aus einem einfachen Wunsch heraus, ihr etwas zu geben. Oder aus dem Glauben an die positive Wirkung des Faktischen, seine Kraft, die Flammen von Zweifel und Schuld zu ersticken. Was immer der Grund dafür war, er hatte es getan. Thorne war klar, er hatte sich in fremdes Terrain vorgewagt, und er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte.
Da er ohnehin nicht mehr einschlafen konnte, stand er auf und ging zur Tür. Er stand an Alisons Seite und sah hinunter auf ihr Gesicht. Nur das halbe Gesicht war zu sehen, blass in einem Keil trüben Lichts, das durch den Spalt zwischen den Vorhängen ins Zimmer floss. Die andere Hälfte lag im Dunkel, Schatten fiel darüber, einer Narbe
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