Tom Thorne 04 - Blutzeichen
machte ihnen nun zu schaffen, seine Last schien sie zu erdrücken. Warf ein neues, härteres Licht auf das nun Unaussprechbare.
Thorne musste aufstoßen, schmeckte noch einmal das Guinness von gestern Abend. Victor lachte. Eileen versuchte sich an einem missbilligenden Blick. Sein Dad schien es nicht bemerkt zu haben.
»Tschuldigung«, sagte Thorne. Ihm war klar, dass er etwas mitgenommen aussah und Eileen dies nicht entging. »Ich hab eine anstrengende Nacht hinter mir …«
Sie nippte an ihrem Tomatensaft. »Deshalb bist du so spät gekommen.«
Als Thorne bei seiner Tante ankam und eine Tasse Tee hinuntergebracht hatte, reichte die Zeit nicht mehr, um vor dem Mittagessen noch etwas zu unternehmen. Also beschränkte man sich darauf, noch schnell auf ein Glas in einem Pub vorbeizuschauen.
»Es wird nicht leicht sein, noch einen Platz in einem ordentlichen Restaurant zu bekommen«, sagte Eileen. »Die sind bestimmt alle voll, wenn wir nicht bald aufbrechen.«
Thorne sagte nichts darauf. Eileen hatte ihnen das Leben gerettet, seit die Krankheit seines Vaters so schlimm geworden war. Aber sie konnte einen mit ihrer Pingeligkeit nerven, wenn sie es darauf anlegte.
»Bier oder Weiber?«, sagte Jim Thorne plötzlich.
Thorne sah seinen Vater entgeistert an. »Was?«
»Gestern. War’s das Bier, oder waren’s die Weiber?«
Thorne hätte nicht sagen können, was ihn am meisten aus dem Konzept brachte, die Frage selbst oder die Art und Weise, wie sie serviert wurde.
»Vielleicht beides«, sagte Victor. Er lächelte Thornes Vater zu, und die beiden platzten los.
Victor war wahrscheinlich der einzige Freund, den Thornes Vater noch hatte. Auf alle Fälle war er der einzige, den Thorne je zu Gesicht bekam. Er war größer und kräftiger als sein Vater, vor allem jetzt, da Jim Thorne an Gewicht verlor. Er hatte viel weniger Haare und sehr schlecht sitzende Zähne, und die zwei alten Männer erinnerten Thorne an ein bizarres, völlig überdrehtes Komikerpaar.
»Vielleicht«, sagte Thorne.
Sein Vater beugte sich zu ihm herüber. »Immer eine gute Idee, denk ich. Trink ein paar Bier, und dann sind sogar die Hässlichen … Wie heißt es gleich wieder? Das Gegenteil von hässlich?«
Victor half seinem Freund mit dem Wort aus. »Hübsch? Attraktiv?«
Jim Thorne nickte. »Dann sind sogar die Hässlichen attraktiv.«
Thorne lächelte. Ein bizarres Komikerpaar: Der im Kopf Klare musste gelegentlich bei den Pointen aushelfen. Er sah hinüber zu Eileen, die den Kopf schüttelte und die Augen verdrehte. Anscheinend war stimmungsmäßig alles in Ordnung.
Victor hob das Glas, als wolle er einen Trinkspruch ausbringen. »Bierbrille«, sagte er.
»Dasselbe gilt auch für Frauen«, warf Eileen ein. »Wir haben manchmal eine Weinbrille auf.« Sie deutete auf Thornes Vater. »Ich vermute, Maureen hatte an dem Abend eine auf, als ihr beiden euch kennen gelernt habt.«
Thorne sah zu seinem Vater. Sie hatten nicht viel über seine Mutter gesprochen, seit sie gestorben war. Seit der Alzheimerdiagnose so gut wie gar nicht mehr. Er fragte sich, wie der Alte darauf wohl reagierte.
Jim Thorne nickte. Er hatte seinen Spaß dran. »Wahrscheinlich hast du Recht«, sagte er. »Muss ziemlich dick gewesen sein, die Brille.« Er hob sein Glas, bis es sein Gesicht halb verdeckte. »Ich war stocknüchtern …«
Als sie getrunken und die Gläser wieder abgestellt hatten, versuchte Thorne vergeblich, den Blick seines Vaters aufzufangen. Die Augen des Alten schossen mal hierhin, mal dorthin.
Das Pub war im negativen Sinn altmodisch und halb leer, was wahrscheinlich damit zusammenhing. Sie saßen an einer winzigen Bar – die vor langer Zeit mal als schmuck gegolten haben mochte. Das völlige Fehlen von Atmosphäre hing wohl mit der Neonlampe zusammen, die über ihren Köpfen brummte und alles in Licht ertränkte. Man hatte das Gefühl, in einem Wartesaal zu sitzen, der nach Bier stank.
Die Wahl war auf dieses Pub gefallen, weil sein Vater hell erleuchtete Räume mochte. Zu Hause lief er ständig durch alle Zimmer und schaltete das Licht ein, selbst mitten am Tag. Das mochte mit seiner Vergesslichkeit zu tun haben, aber Thorne glaubte eher, dass der Alte versuchte, die Dunkelheit auszusperren, von der er sich bedroht fühlte. Er wollte im Licht bleiben, wo er sehen konnte. Wo er noch gesehen werden konnte …
»Wer möchte noch etwas?«
Eileen schüttelte den Kopf und schob ihr leeres Glas weg. »Es ist Sonntag, und wenn wir was Ordentliches
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