Tom Thorne 04 - Blutzeichen
Mund wieder schloss, fing er den Blick einer Frau auf, die ihm gegenüber saß, und lächelte. Sie wirkte genauso erschlagen und lächelte zurück.
Er hatte viel gehört über die Probleme und Freuden des Elternseins. Von erfahrenen Veteranen wie Russell Brigstocke und Yvonne Kitson. Von Dave Holland, der noch immer Spuckflecken auf seinem Revers hatte. Alles, was sie ihm erzählt hatten, schien ihm plötzlich für seine Lage relevant.
Niemand konnte einen darauf vorbereiten.
Es gab keinen richtigen und keinen falschen Weg.
Aus seinen Gesprächen mit diesen Leuten wusste Thorne, dass es Zeiten gab, wo man hart durchgreifen musste. Aber es gab auch Momente, in denen man hart durchgriff und sich hinterher beschissen fühlte, weil man merkte, wie falsch man damit gelegen hatte. Jetzt verstand Thorne, was sie damit meinten. Doch manchmal war es wichtig, die Tatsache zu akzeptieren, dass die Kinder einen Riesenspaß hatten – selbst wenn es einem gegen den Strich ging, was die Kinder machten oder wie ihr Verhalten bei anderen ankam. Er sah den Ausdruck auf dem Gesicht seines Vaters vor sich, als er seine Obszönitäten hinausschrie …
Ob es schon zu spät war, Alison Kelly anzurufen? Wahrscheinlich war es das. Aber dann griff er doch nach seinem Handy und wählte ihre Nummer.
»Hi, hier ist Tom. Hallo …?«
»Hi …«
»Tut mir Leid, falls es zu spät ist. Ich wollte nur wissen, wie es dir geht.«
»Ich bin müde.«
»Ich auch. War ’ne anstrengende Nacht.«
Sie lachte. »Das kann man wohl sagen.«
Thorne stellte sie sich nackt vor. Wie sie weinte. Wie sie sich von ihm wegdrehte und mit dem, was er gesagt hatte, klarzukommen versuchte. »Ich wollte wissen, wie es dir damit geht, was ich dir erzählt habe.«
Es knackte in der Leitung. Thorne fürchtete schon, die Verbindung sei unterbrochen, und sah auf das Display.
»Das ist in Ordnung«, sagte sie schließlich. »Ich bin … dankbar.«
»Ich hätte es für mich behalten sollen.«
»Du hast mir die Wahrheit erzählt.«
»Du warst ganz aufgewühlt …«
»Ich musste die Wahrheit wissen. Ich muss die Wahrheit wissen.«
Thorne sah, wie die Frau gegenüber sich wegdrehte. Er senkte die Stimme. »Einige Wahrheiten sind schwerer zu verkraften als andere.«
Schweigen am anderen Ende.
»Alison …?«
»Ich bin eine erwachsene Frau«, sagte sie. Wieder lachte sie, doch diesmal bitter. »Wenigstens konnte ich erwachsen werden …«
»Hast du noch mal Lust, mit mir auszugehen?«
Er hörte sie langsam ausatmen. »Warum hab ich nur das Gefühl, dass du nett sein willst?«
»Nein, jetzt komm …«
»Lassen wir uns ein paar Tage Zeit, ja?«, sagte sie. »Schauen wir mal, wie es uns dann geht.«
Thorne brauchte ein paar Sekunden, um zu merken, dass sie in einen Tunnel gefahren waren. Er sah auf das Display. Dieses Mal war die Verbindung unterbrochen. Ein paar Minuten blickte er ins Leere, bevor er über den Gang nach einer Zeitung griff, die jemand liegen gelassen hatte. Er drehte sie um und begann zu lesen.
Noch bevor er mit der ersten Seite fertig war, war er eingeschlafen.
Neunzehntes Kapitel
Die Bedienung stellte eine Platte mit fein säuberlich arrangiertem Gebäck in die Mitte des Tischs. Sie griff nach dem leeren Tablett und ging, blieb jedoch an der Tür stehen, um einen etwas verdutzten Blick auf die Frauen und Männer in dem Besprechungszimmer zu werfen.
Eine seltsame Gruppe, die sich da versammelt hatte …
Detective Chief Superintendent Trevor Jesmond räusperte sich geräuschvoll und wartete darauf, dass es ruhig wurde. »Wollen wir anfangen, meine Damen und Herren?« Tee und Kaffee wurden eingeschenkt, während Jesmond die anwesenden Personen vorstellte.
Sie saßen zu siebt um den langen, rechteckigen Tisch. Jesmond saß am Kopfende mit einer türkisch sprechenden Polizeibeamtin rechts neben sich. Auf derselben Seite weiter unten saß Memet Zarif, neben ihm ein älterer Herr, ein, wie es hieß, angesehener Führer der türkischen Gemeinde. Ihnen gegenüber saßen Stephen Ryan und eine schick gekleidete Frau namens Helen Brimson, die von Jesmond als die Anwältin vorgestellt wurde, die Ryan Properties vertrat. Der letzte Anwesende, der vorgestellt wurde, schwitzte in seiner Lederjacke und hatte einen Stift in der Hand und einen Stapel Papier vor sich.
»DI Thorne wird das Protokoll führen …«
Helen Brimson beugte sich vor, um ihn zu unterbrechen. »Ich gehe davon aus, dass unser Treffen hier vertraulich behandelt wird?«
Jesmond
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