Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
er wollte Geld sparen. Er kann den Festanschluss von seinem Zimmer aus benutzen und wann immer er will auf Kosten von Mum und Dad telefonieren.«
»Sie haben gesagt, mehr als einmal …?«
»Sechs Anrufe in den drei Wochen, bevor Luke entführt wurde. Noch mehr in der Zeit davor.«
Thorne lehnte sich an, während er versuchte, das alles zu verdauen. »Als Dave sich mit den Schülern an der Schule unterhalten hatte, hatte Farrell ihm erklärt, dass er Luke Mullen kaum kennt. Dass er zwar weiß, dass er vermisst wird, aber das sei auch schon alles. Richtig?«
»Richtig. Aber ich muss Ihnen nicht erst erzählen, dass er ein ausgesprochen guter Lügner ist.«
»Moment, sind wir sicher, dass Adrian Farrell telefoniert hat? Vielleicht sind Mrs Farrell und Lukes Mum beide im Elternbeirat und telefonieren deshalb häufig miteinander.«
Kitson schüttelte den Kopf. »Ich hab seine Mutter gefragt. Die Eltern kennen sich so gut wie gar nicht. Man grüßt sich und wechselt ein paar Worte bei einer Schulveranstaltung, mehr nicht.«
»Okay …«
In Thornes von Übermüdung und Hunger dumpfem Kopf überschlugen sich die Hypothesen wie in einer Wäscheschleuder, die auf dem letzten Loch pfeift. Konnte Luke Mullens Entführung mit Farrell oder mit einem von Farrells Freunden zusammenhängen? Wurde er gekidnappt, weil er etwas über sie wusste? Und wie zum Teufel sollte das wiederum mit der Ermordung von Kathleen Bristow zusammenhängen?
»Das sind auch keine kurzen Telefonate, Tom«, sagte Kitson. »Wir reden hier von zehn, fünfzehn Minuten.«
»Was sagt Farrell?«
»Ich hab mit ihm noch nicht darüber gesprochen. Ich hab gedacht, vielleicht möchten Sie mit mir in den Bau kommen und sich das Bürschchen vorknöpfen.«
Thorne brummte ein Ja, während die Gedanken in seinem Kopf weiter durcheinandergewirbelt wurden.
»Noch etwas.« Kitson sagte das, als handle es sich um eine Nebensächlichkeit, die ihr gerade noch einfiel. »Wenn es Ihnen bei dem Gespräch mit Farrell gelingt, die Namen der zwei aus ihm rauszukitzeln, die ihm dabei halfen, Amin Latif umzubringen, ist ein kleines Bier für Sie drin.«
Sie genossen es, hier zu sitzen und sich eine Pause zu genehmigen. Schmerzende Füße zu reiben und Tee in Papiertassen zu trinken wie ganz normale Büroangestellte. Etwas Luft zu holen.
Thorne hatte das Gefühl, als sei dies vielleicht für lange Zeit die letzte Gelegenheit. In früheren Fällen hatte es Zeiten gegeben, in denen er das Gefühl hatte, sich mit seinem Fahndungsobjekt auf Kollisionskurs zu befinden. Dabei war es egal, um wen es sich handelte. Als rasten sie immer schneller aufeinander zu, bis es am Schluss nur noch eine Frage der Zeit war, wann sie aufeinanderprallten.
Dieser Fall war anders.
Da war dasselbe Gefühl von Unvermeidlichkeit, als steige etwas aus dem Bauch hoch in den Mund. Als stehe das Ende unmittelbar bevor. Aber es war nicht so, als käme man näher ran oder hole sie ein.
Thorne hatte einfach nur das Gefühl, dass ihnen die Zeit allmählich knapp wurde.
Er hatte dem Jungen nicht wehtun wollen.
Was die Tatsache nicht entschuldigte, dass er genau das getan hatte. Er war sich klar darüber gewesen, dass seine Worte wie Ohrfeigen waren, wie Faustschläge. Aber er hatte es wirklich nicht gewollt. Natürlich war alles weitaus komplizierter und zugleich weitaus einfacher. Er wollte jemand anderem wehtun. Jemandem, der den Schmerz eines geliebten Kindes sehen und diesen Schmerz dann selbst tausendfach fühlen sollte.
Dann würden sie es bestimmt kapieren. Und die Dinge anders sehen.
Die Idee war so einfach, so klar gewesen, aber von dem Moment an, als er sie in die Tat umzusetzen begann, hatte er gespürt, wie ihm alles entglitt. Jetzt konnte er wirklich nicht mehr sagen, ob sich alles so entwickeln würde, wie er es geplant hatte. Alles war außer Kontrolle geraten. Er war außer Kontrolle.
Wenigstens bekam er noch mit, was passierte. Er war sich dessen bewusst. Er hatte es zu oft selbst erlebt: Autounfälle auf zwei Beinen, die Leben ruiniert hatten – ihr eigenes und das aller anderen in ihrer Umgebung; vom Pech verfolgte Chaoten, die keine Krokodilstränen vergossen und deren Leid die Luft aus dem Zimmer saugen konnte, die aber einfach nicht zu kapieren schienen, dass das keine Entschuldigung ist.
Ich wollte niemandem wehtun …
Ihm war klar, dass er schreckliche Dinge getan hatte. Dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert war. Erst recht, wenn man Blut an den
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