Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
natürlich beschissen.«
»Das tut mir leid«, sagte Holland.
»Man lernt Leute kennen, hat mit Ihnen zu tun, und dann … geht das Leben weiter, verstehen Sie? Man geht auseinander, verliert sich aus den Augen und denkt so gut wie nicht mehr an sie. An Kathleen Bristow hab ich fünf Jahre nicht mehr gedacht, bis Sie hier auftauchten und Fragen über Grant Freestone stellten. Und jetzt ist sie tot. Und ich hab das Gefühl, das sollte mir näher gehen, als es tut …«
»Wie Sie sagten, Sie haben lange nicht mehr an sie gedacht.«
»Ich werde sie bei unserer Messe ins Gebet mit einschließen.«
Holland sah auf die Uhr: Es war fünf nach neun. Wenn er hiermit fertig war, würde er schauen, dass er wegkam. Chloe war wohl schon im Bett, aber es wäre nett, noch eine Stunde oder so mit Sophie zu haben, bevor einer von ihnen einschlief.
»Irre ich mich, oder halten Sie das für keinen Zufall?«, fragte Warren.
»Sir?«
»Dass Sie anfangen, Leute darüber zu befragen, was damals passiert ist, mit Freestone und so, und dann wird jemand aus dem Ausschuss umgebracht.«
»Ich halte es eher für unwahrscheinlich.«
»Haben Sie mit den anderen gesprochen?«
»Mit den meisten, ja.«
Warren schwieg eine Weile. Als Holland ein Feuerzeug schnappen hörte, nahm er an, dass sich Warren eine Zigarette gerollt hatte. Ein langes Ausatmen und wieder eine Pause folgten. Dann sagte Warren: »Hat sie sehr gelitten?«
Normalerweise hätte ihn Holland mit einer banalen, beruhigenden Antwort abgespeist. Er konnte nicht sagen, warum er es nicht tat. Außer dass Warren selbst kein Blatt vor den Mund nahm und kein Freund von leerem Gerede war.
»Ja«, sagte er. »Ich glaube, das hat sie.«
Die Fahrt von Hendon bis Arkley dauerte nur zwanzig Minuten. Ein halbes Dutzend Tracks von Gram und Emmylou hatte, was Thornes Stimmung anging, Wunder gewirkt. Aber ein Blick in Tony Mullens Gesicht genügte, und dieses Wunder war wie weggewischt.
Nach ihrem letzten Treffen hatte Thorne nicht gerade einen herzlichen Empfang erwartet. Aber das hier war mehr als die voraussehbare Abneigung. Tony Mullens Miene und ganze Haltung spiegelten seine Resignation wider, als er zur Seite trat, um Thorne wortlos ins Haus zu lassen. Er sah aus wie ein Mann, der keine guten Nachrichten mehr erwartete.
Als Vater würde er so lange hoffen, his er einen Toten begraben musste, aber als Expolizeibeamter wusste Mullen nur zu gut über Zeit und Wahrscheinlichkeiten Bescheid. Er war sich, daran hegte Thorne keinen Zweifel, nur zu schmerzhaft bewusst, wie schnell aus großen Chancen kleine Chancen wurden. Wie schnell sie sich in Nichts auflösten.
Seit Lukes Verschwinden waren jetzt neun Tage vergangen; beinahe fünf, seit sie das Video erhalten hatten; zweiundsiebzig Stunden waren verstrichen, seit Luke ein zweites Mal entführt worden war, ohne dass sich der jetzige Entführer gemeldet hatte.
Da war durchaus Wut in Mullens Augen, aber so gut wie keine Kampfkraft mehr.
»Was immer Sie wollen, ich hoffe, es dauert nicht lange«, sagte Mullen. »Wir sind alle müde.«
»Eigentlich bin ich gekommen, um mich kurz mit Juliet zu unterhalten.«
»Warum?«
Thorne überlegte kurz und fand, es könne nicht schaden. Vielleicht schlug es sogar eine Brücke. »Wir haben uns mit einem Jungen von Butler’s Hall über einen völlig anderen Fall unterhalten. Der so gut wie sicher nichts mit dem hier zu tun hat. Mit Luke …«
»So gut wie sicher?«
»Wir glauben, dass er uns anlügt. Aus irgendeinem Grund behauptet er, Luke nicht zu kennen. Wir wissen aber, dass er mehrmals hier angerufen hat, und wir wollen uns vergewissern, dass er mit Luke gesprochen hat. Ich bin nur noch mal vorbeigekommen, um zu überprüfen, ob er nicht Ihre Tochter angerufen hat. Ich glaube nicht, dass das länger als zehn Minuten dauert.«
»Wie heißt der Junge denn?«
Diesmal überlegte Thorne etwas länger. »Farrell.«
Thorne konnte keine direkte Reaktion entdecken, er war sich aber nicht sicher, ob da nicht etwas war, bevor Mullen den Kopf wandte, um mit seiner Frau zu sprechen.
Er hatte Maggie Mullen nicht bemerkt. Sie saß etwa drei Meter entfernt oben auf dem Treppenabsatz, wo die Treppe weiter in den zweiten und dritten Stock führte. Sie trug eine dunkle Jogginghose und einen braunen Pulli. Die Haare hatte sie zurückgebunden. Sie waren beinahe so grau wie ihr Gesicht und die Zigarettenasche, die – so vermutete Thorne – die Untertasse zwischen ihren Füßen füllte.
»Du rufst
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