Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
nicht mit der Gestalt, die mit der Spritze auf Luke Mullen zuging. Obwohl es genauso gewalttätig, genauso brutal war, konnte sich Thorne einfach nicht vorstellen, dass sich Conrad Allen problemlos auf etwas so klinisch Sauberes einstellen konnte.
Etwas so klammheimlich Gemeines.
Stattdessen hatte er sich auf die Frau konzentriert: auf den Bildschirm gestarrt, als sie um ihr Leben schrie und bettelte. Wie sie zuerst den Ganoven und dann jeden zu Tode erschrockenen Kassierer oder Verkäufer anflehte, doch bitte das Geld rauszurücken, bevor man sie umbringe. Falls der Mann, der ihr die Knarre an den Kopf hielt, Conrad Allen war, dann war sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Frau, die den Sechzehnjährigen so lange bequatscht hatte, bis er in das Auto gestiegen war. Sie war vielleicht nicht die größte Schauspielerin der Welt, aber Thorne konnte sich durchaus vorstellen, zu welchen Leistungen sie fähig war. Es fiel ihm leichter, in ihr die treibende Kraft zu sehen, die einen Weg fand, eine Menge mehr Geld zu machen, als man normalerweise in einer Ladenkasse findet. Warum sie Luke Mullen als Opfer wählten, war eine andere Frage …
Das Geräusch am anderen Ende der Leitung klang verdächtig nach einem Kichern. »Lachst du schon wieder über deine eigenen Witze, Hendricks?«
»Einer von uns muss doch lachen.«
»Gut, ich hab gehofft, das heitert dich etwas auf. Ich nehme an, du kannst etwas Aufheiterung gebrauchen. Du hast ja nicht viel rausgelassen.«
Als Thorne anrief, machte Hendricks den Eindruck, als wolle er über die Situation mit Brendan nicht groß reden. Jedes andere Thema schien ihm lieber. Immer noch. Nur ein kurzes Knurren, ein gepresstes »Du weißt schon« und Themawechsel. Und wenn es noch so knirschte.
»Was macht der Rücken?«
Thorne rieb sich die Wade. »Ist eher das verdammte Bein als der Rücken.«
»Ich hab’s dir gesagt. Klingt ganz so, als hättest du einen Bandscheibenvorfall. Du solltest dich echt drum kümmern.«
»Im Augenblick hab ich nicht die Zeit dafür.«
»Das im Bein ist ein Phantomschmerz, das weißt du doch? Wo die Bandscheibe auf den Ischiasnerv drückt. Dein Gehirn meint, du hättest was am Bein, dabei ist damit alles in Ordnung.«
»Moment mal …« Thorne nahm einen ordentlichen Schluck Bier. Allmählich begann es, nach etwas zu schmecken. »Ich hab gedacht, das Gehirn sagt, wo’s langgeht.«
»Einige Körperteile brüllen lauter als andere«, entgegnete Hendricks. »Und natürlich gibt es ein, zwei, die ihren eigenen Kopf haben.«
Die Katze kam mürrisch aus der Küche und wurde ignoriert.
Thorne saß da und grübelte darüber nach, dass der »Körperteil«, von dem Hendricks sprach – zumindest in Thornes Fall – lange Zeit sehr zurückhaltend gewesen war, doch sich in den letzten Tagen erstaunlich oft zu Wort meldete.
Amanda
Sie war heilfroh, aber Conrad war bestimmt total glücklich, dass endlich Bewegung in die Sache kam. Dass es bald vorbei war. Er war im Schlafzimmer und redete mit dem Jungen. Sie würde es ihm sagen, sobald er herauskam. Sie mussten vorbereitet sein, wenn es soweit war.
Der Löffel, den sie sich kochte, als das Telefon läutete, würde ihr helfen, etwas ruhiger zu werden …
Sie hatte den Anruf über Anrufbeantworter laufen lassen, wie alle Anrufe seit Freitag, als sie mit dem Jungen in die Wohnung gekommen waren. Das gehörte zu ihrer Strategie, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Und die meisten Leute, die anriefen, wollten einem eh nur Scheiße andrehen. Sie hatten den Jungen bei der ersten Gelegenheit mit genug Zeug abgefüllt, um ein Pferd ruhigzustellen: als sie weit genug von der Schule entfernt war und anhielt, um Conrad einsteigen zu lassen. Dann hatten sie gewartet, bis es dunkel war, und hatten ihn reingetragen. Dazu hatten sie ihn in eine Picknickdecke eingewickelt, die sie bei Halford’s gekauft hatten. Sie hatten dafür gesorgt, dass genug zu essen und zu trinken da war, damit sie nicht rausgehen und mit Leuten reden mussten. Sie brauchten nur hier zu sitzen und zu warten, und jetzt hatten sie es so gut wie geschafft.
Sie hatte den Anruf über den Anrufbeantworter abgehört … und sobald sie die Stimme erkannt hatte, den Telefonhörer gepackt und zugehört.
Sie war erleichtert und froh, dass es ganz so aussah, als würde es klappen. Als würden alle unverletzt davonkommen. Darauf hatte sie von Anfang an bestanden, schon bei den Überfällen. Niemand sollte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließe,
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