Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
»Der Name Grant Freestone hätte fallen müssen.«
»Weil er Mullen bedroht hat?«
»Deshalb … und weil er noch immer wegen Mordes gesucht wird.«
Thorne sah sie nur an und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Ihm entging nicht, wie sehr sie diesen dramatischen Effekt genoss und ihre Geschichte auskostete.
»1995 wurde Freestone zu zehn Jahren wegen Kindesmissbrauch verurteilt. Er saß gut die Hälfte der Zeit ab und kam 2000 auf Bewährung raus. Er war einer der ersten Exgefangenen, mit denen sich ein MAPPA-Ausschuss befasste.«
Thorne nickte. Er hatte zwar selbst nie mit den Multi-Agency Public Protection Arrangements zu tun gehabt, war aber mit dem Verfahren vertraut. Es war als »gesetzlicher Rahmen für die amtsübergreifende Zusammenarbeit bei der Beurteilung gefährlicher verurteilter Straftäter« eingeführt worden – für die Personen, die eine ernste Bedrohung für die Öffentlichkeit darstellten und »deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft gefördert und überwacht werden« sollte.
Um den Teufel nicht aus den Augen zu lassen.
»Scheint ja der ideale Kandidat gewesen zu sein«, meinte Thorne.
»Das war er. Aber was diejenigen angeht, die ihn überwachen sollten, bin ich mir nicht so sicher. Keine Ahnung, was da genau lief, aber ich frage mich, warum dieses Projekt danach nicht sofort ad acta gelegt wurde.«
»Bereitet dir das Zahnschmerzen?«
»Irgendwie schon. Freestone bekam eine Wohnung in Crystal Palace. Deshalb war auch das Bromley Borough Council für diesen MAPPA-Ausschuss zuständig. Dann lernte er ein paar Monate nach seiner Entlassung Sarah Hanley kennen, eine alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern.«
»Ah. Das war natürlich ein Problem.«
»Das wäre es gewesen, wenn nicht kurze Zeit darauf ein etwas größeres Problem aufgetaucht wäre. Im April 2001 stieß Grant Freestone sie durch einen Glastisch.«
»Nett.«
»Sie verblutete. Und als sie schließlich gefunden wurde …«
»War Freestone über alle Berge.«
»Und ist es immer noch«, sagte Chamberlain. »Ich hätte auch nicht gedacht, dass sich daran etwas ändert. Er kommt mit Sicherheit einem Hauptverdächtigen am nächsten, aber der Fall liegt so lange zurück, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass noch intensiv oder oft nach ihm gesucht wird. Der Name kommt immer wieder mal aufs Tapet, und der Fall wird jährlich neu dokumentiert, aber im Grunde genommen ist er kälter als der Großteil der Scheiße, die ich bekomme.«
Eine Kellnerin kam herüber und räumte die Teller weg. Sie fragte, ob sie noch Tee oder Kaffee mochten. Thorne erklärte Chamberlain, er müsse so schnell wie möglich zurück, und bezahlte mit einer Fünfpfundnote.
»Hatte Tony Mullen mit diesem Fall überhaupt zu tun?«, fragte er. »Mit dem Mord an Sarah Hanley?«
Chamberlain verneinte. Sie habe mit dem Detective gesprochen, der damals die Ermittlungen und die Fahndung nach Grant Freestone leitete und dem – zumindest theoretisch – der Fall noch unterstand. Aber Thorne hörte nur mit halbem Ohr zu. Die Frage war überflüssig. Tony Mullen konnte mit dem Fall nichts zu tun haben, und er wusste auch, warum.
»Ich hab seine Details hier zusammengefasst.« Chamberlain schob ihm einen Umschlag über den Tisch. »Ich fand den Detective eigentlich ganz in Ordnung, aber er war wesentlich mehr daran interessiert, warum ich ihm all diese Fragen stelle, als sie mir zu beantworten.«
»Das ist ganz normal.«
»Ja, wahrscheinlich.«
»Machen dir die Typen nicht zu schaffen, die dir durch die Lappen gingen?«
Chamberlain holte ein Lippenstiftetui aus der Handtasche. »Je älter ich werde, umso mehr macht mir alles zu schaffen.«
»Danke für deine Hilfe.«
»Kein Problem. Und ich stehe noch immer in deiner Schuld.« Sie riss sich kurz los vom Spiegel. »Und damit meine ich nicht den Tee und das Schinkenbrötchen.«
Thorne nahm den Umschlag und schob seinen Stuhl zurück. Er wusste, sie meinte die Sache im letzten Jahr, als ihre Befragung eines Tatverdächtigen entsetzlich entgleiste. Wahrscheinlich schuldeten sie sich gegenseitig mehr, als sie sich je zurückzahlen konnten. »Ich halt dich auf dem Laufenden«, sagte er.
Carol Chamberlain nickte und wandte sich wieder ihrem Lippenstift zu. Thorne machte sich auf den Weg. Als er ging, rief sie ihm noch nach. Entschuldigte sich dafür, dass sie den Kram für seinen Rücken vergessen hatte, und versprach, ihn ihm zu schicken.
Er eilte zurück zum Auto. Nur beim Zeitungshändler
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